Die Kollektivierung auf dem Land
links: Genossenschaftsbäuerinnen beim Kartoffellegen in
der LPG Oehna
(Jüterbog) © RBB
Kein anderes deutsch-deutsches Thema ist seit der Einheit so präsent wie die sogenannten "Bodenreformen". Zwei große Neuverteilungen von Land gab es in der Geschichte der DDR. Gleich nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges gingen die Sowjets daran "Junkerland in Bauernhand“ umzuwandeln. Mit den Junkern waren die ostpreußischen Großgrundbesitzer gemeint. Alle mutmaßlichen Kriegsverbrecher, Funktionäre und Repräsentanten der NSDAP sowie alle Landbesitzer, die Güter mit mehr als 100 Hektar Land besaßen, wurden entschädigungslos enteignet.
Das Land wurde an so genannte Neubauern, Landarbeiter und Flüchtlinge verteilt. Doch die Freude über das Gewonnene währte nur kurz: Die zweite Umverteilung - besser gesagt Kollektivierung - wurde von der SED in den 1950er Jahren angegangen. "Vom Ich zum Wir", so lautete vor mehr als 50 Jahren die propagandistische Parole der SED-Politik auf dem Lande. Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften sollten die Versorgung der Menschen und die Macht der Partei sichern. Die DDR-Führung glaubte zunächst, die Landbevölkerung "auf freiwilliger Basis" von den angeblichen Vorzügen einer kollektivierten Landwirtschaft zu überzeugen. Muster-LPGen sollten wie "Leuchttürme auf dem Lande" die Idee von der Sowjetisierung in alle Dörfer tragen.
links: Einsammeln der Grenzsteine in den
Dörfern Klein und Groß Upahl
Doch gleichzeitig wurden die Klein- und Mittelbauern mit Repressionen und hohen Zwangsabgaben drangsaliert, die "Klassenpolitik" der SED vertrieb Zehntausende Bauern in den Westen. Jahrhundertealte soziale Bindungen gingen verloren. Am 17. Juni 1953 kippte die Stimmung auch auf dem Lande. Mit der Politik des "Neuen Kurses" wurde der harte Kurs Ulbrichts zunächst aufgegeben. Doch es war nur eine Atempause bis zur fast vollständigen Kollektivierung der Landwirtschaft in der DDR. Ende der 50er Jahre wähnte sich SED-Chef Walter Ulbricht wieder in einer sicheren Ausgangsposition, um die Kollektivierung der Landwirtschaft erneut voranzutreiben. Vor allem durch eine Politik des Zwanges.
Propagandatrupps erschienen in den Dörfern und setzten die verbliebenen Einzelbauern unter Druck. Von nun an wurde die Kollektivierung unter der "Perspektive des Sieges des Sozialismus" betrachtet. Ein Propagandakrieg mit dem Westen erhöhte die politische Repression.
Viele Bauern standen vor der Wahl: Einwilligung oder Flucht. Schließlich leisteten die Staatsorgane ganze Arbeit: immer mehr DDR-Bezirke konnten "vollgenossenschaftliche Kreise" nach Ost-Berlin melden. Das jahrhundertealte Einzelbauerntum war zerschlagen, die Landwirtschaft fast vollständig industrialisiert.
Im Januar 2004 entschied eine Kammer des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte überraschend, das die Erben der Jungbauern die rechtmäßigen Besitzer des Landes sind. Das Gericht revidierte damit eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und sprach das Land den Bauern zu, die es aus Enteignung erhalten hatten - später aber den Zwangskollektivierungen zum Opfer fielen.
Literatur:
Zwischen Bodenreform und Kollektivierung. Vor- und Frühgeschichte der "sozialistischen Landwirtschaft" in der SBZ/DDR vom Kriegsende bis in die fünfziger Jahre. Kluge, Ulrich (Hrsg.)
Steiner Verlag, Stuttgart 2001, EUR 65,00, ISBN: 3-515-07892-4
Alltagsleben im "sozialistischen Dorf". Merxleben und seine LPG im Spannungsfeld der SED-Agrarpolitik (1945-1990).
Schier, Barbara
Waxmann Verlag, München, Münster, New York, Berlin 2001, EUR 19,50, ISBN: 3-8309-1099-1
Von der LPG zur Agrargenossenschaft. Untersuchungen zur Transformation genossenschaftlich organisierter Agrarunternehmen in Ostdeutschland.
Laschewski, Lutz
Edition Sigma, Berlin 1998, EUR 19,50, ISBN: 3-89404-642-2
LPG - was nun? Agrarkonzentration im Osten Deutschlands. Die Neugestaltung des ländlichen Raumes.
Brückner, Thomas (Hrsg.)
Internationalismus-Verlag, Hannover 1992, ISBN: 3-922218-38-5
Quelle: 3Sat Fernsehen