Gerne – hier folgt eine ausführlichere, literarisch-wissenschaftlich ausgearbeitete Prosaform der Detailanalyse zu ausgewählten Waffenstücken aus dem Besitz von Christoph Daniel Freiherr von der Schulenburg, wie sie im Inventar von 1752 verzeichnet sind. Die Betrachtung erfolgt im Lichte höfischer Repräsentationskultur, adliger Jagd- und Militärtraditionen sowie des materiellen Symbolismus des 18. Jahrhunderts.
Die Waffen im Spiegel höfischer Repräsentation
Ein Beitrag zur Sammlung des Generals Christoph Daniel von der Schulenburg in Angern (1752)
In einem mit grün und schwarz marmorierter Wachsleinwand tapezierten Kabinett des Schlosses Angern, das 1752 als „zweites Kabinett“ oder „Polterkammer“ im Inventar erscheint, befindet sich eine bemerkenswerte Ansammlung von Schuss- und Blankwaffen . Dieses Ensemble reflektiert nicht nur den militärischen Werdegang seines Besitzers, sondern ist zugleich Ausdruck einer typischen adligen Sammelkultur im Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus.
1. Die Haubitze zu Grenaden – Kriegsgerät als Trophäe
An erster Stelle der Auflistung steht eine „Haubitze zu Grenaden“. Diese Bezeichnung verweist auf eine Kurzrohrkanone mit großer Streuwirkung, wie sie insbesondere zur Belagerung und im Häuserkampf verwendet wurde. Die Aufnahme einer derart schweren Waffe in ein Interieur, das zugleich Bibliothek und Privatkabinett war, kann kaum praktischen Zwecken gedient haben. Vielmehr ist sie als Trophäe zu deuten – eine plastische Manifestation militärischer Autorität, vergleichbar den in europäischen Schlössern ausgestellten Beutegeschützen, etwa im Zeughaus Berlin oder in der Dresdner Rüstkammer (vgl. Katalog: Schätze der Rüstkammer, 2004).
Christoph Daniel hatte sich in den Diensten des Königs von Sardinien militärisch ausgezeichnet . Die Haubitze im Kabinett fungiert somit als symbolisches Relikt dieser Karriere, eingebettet in die Inszenierung eines aufgeklärten, siegreichen Soldatenlebens – zwischen Mars und Minerva.
2. Der Musquetton mit Perlmutter und Elfenbein – das Ornament der Kavallerie
Noch deutlicher tritt das repräsentative Moment bei dem mit Perlmutter und Elfenbein ausgelegten Musquetton hervor. Es handelt sich um eine verkürzte Muskete, ursprünglich für Dragoner oder berittene Truppen bestimmt. Doch die kostbare Verzierung verrät ihre eigentliche Funktion: Nicht als Gebrauchswaffe, sondern als Schaustück diente sie der Demonstration von Geschmack, Status und Weltgewandtheit.
Solche Luxuswaffen waren häufig diplomatische Geschenke – etwa zwischen Offizieren, Fürsten oder im Rahmen militärischer Allianzen. Sie entsprachen dem Typus jener Waffen, die in höfischen Sammlungen des 18. Jahrhunderts etwa in Dresden oder Versailles zu finden sind (vgl. L. Funcken: L’armement et la vie militaire au XVIIIe siècle, Paris 1975). Der Musquetton steht hier als Chiffre für Zivilität in der Gewalt: das gezähmte, kultivierte Soldatentum.
3. Die gezogene Kugelbüchse – Symbol adliger Jagdhoheit
Mit der gezogenen Kugelbüchse hielt ein weiteres markantes Statussymbol Einzug in Schulenburgs Sammlung. Anders als glattläufige Jagdflinten ermöglichte sie dank ihrer Drallzüge eine deutlich präzisere Schussabgabe und war demnach für die Pirschjagd auf Hochwild prädestiniert.
Im 18. Jahrhundert war der Besitz einer Kugelbüchse ein deutliches Zeichen adliger Exklusivität. Nur wenige standen in den Genuss der entsprechenden Jagdreviere und der kostenintensiven Waffen. Wie Schilling feststellt, gehörte die Jagd zur „symbolischen Praxis territorialer Kontrolle“ des Landadels (Schilling, Lutz: Adlige Jagd im Alten Reich, Göttingen 1994). In Schulenburgs Fall verband sich damit das Ideal des civilisierter Kriegers und Gebieter über die Natur.
4. Die lange Nussbaumflinte – die Ästhetik der Linie
Eine weitere auffällige Waffe ist die lange Flinte „mit ganzem Schaft von Nussbaumholz, ganz weiß garniert“. Nussbaum war nicht nur ein edles, sondern auch ein elastisches und stabiles Holz – in der Waffentechnik geschätzt. Die „weiße Garnierung“ deutet auf Applikationen aus Bein, Horn oder Elfenbein, wie sie bei Prunkwaffen Verwendung fanden.
Diese Flinte könnte zur Jagd oder – wahrscheinlicher – zur Präsentation während Gesellschaften oder Paraden gedient haben. Sie steht in der Tradition jener parade guns, wie sie in den Arsenalzimmern von Versailles oder in deutschen Jagdschlössern gezeigt wurden. Als „verlängerte Linie“ war sie ein Ausdruck mathematischer und gestalterischer Harmonie – ganz im Sinne des Rokoko-Ideals von Leichtigkeit und Anmut.
5. Die italienische Flinte mit Schiebeschloss – Technik als Wunderwerk
Besonders kurios wirkt die Erwähnung einer Flinte „mit italienischem Schiebeschloss, welche man zusammenlegen kann“. Dabei handelt es sich vermutlich um eine zerlegbare Reisebüchse mit einer seltenen Schlossmechanik. Solche technisch anspruchsvollen Konstruktionen wurden oft in Brescia oder Gardone gefertigt und galten als Höhepunkt europäischer Büchsenmacherkunst.
Diese Waffe symbolisiert den technischen Kosmopolitismus des aufgeklärten Adels, für den Mechanik, Präzision und Kunsthandwerk eine zentrale Rolle spielten. Die Fähigkeit, eine Flinte zusammenzulegen, korrespondiert mit der Idee der mobilen Gewalt – sei es auf der Jagd, im Feld oder auf diplomatischer Reise.
6. Die spanische Flinte und der Brescianer Lauf – von Farbe und Metall
Auch die halbgeschäftete „spanische Flinte, so blau angelaufen“ ist ein typisches Beispiel repräsentativer Waffengestaltung. Das Blaulaufen – eine kontrollierte Oxidation – verlieh dem Stahl einen tiefblauen Glanz und diente zugleich dem Korrosionsschutz. Es war ein Modeeffekt wie auch ein Zeichen von Raffinesse.
Die „Brescianer Pistolenläufe“ – ebenfalls im Besitz – verweisen auf die norditalienische Stadt Brescia, ein Zentrum für feinste Waffenschmiedekunst. Waffen aus Brescia, oft mit floralen Gravuren, Einlagen und Monogrammen versehen, waren im 18. Jahrhundert hochbegehrt. Der Besitz solcher Teile weist auf Kontakte zu italienischen Hofwaffenlieferanten hin – und unterstreicht Schulenburgs Verankerung in einem europäischen Netzwerk des Stils und der Macht.
Fazit: Waffen als Signaturen adliger Weltaneignung
Die Waffen in Christoph Daniel von der Schulenburgs Sammlung sind mehr als funktionale Geräte – sie sind Artefakte einer Selbstbeschreibung. Sie verkörpern in Metall, Holz und Ornament den Lebensentwurf eines sardischen Generals, eines gelehrten und kunstsinnigen Grandseigneurs, der Krieg, Jagd, Repräsentation und Technik zu einem individuellen Kosmos verband.
Wie bereits Norbert Elias in seinem Werk Über den Prozeß der Zivilisation (1939) bemerkte, entwickelte der Adel in der Frühen Neuzeit spezifische Formen der „Selbstzähmung“. Die Waffen Schulenburgs sind in dieser Perspektive keine Instrumente der Gewalt mehr – sondern Objekte der Disziplin, des Rangs und der habitusprägenden Distinktion.
Literaturverzeichnis
-
Elias, Norbert: Über den Prozeß der Zivilisation, Frankfurt a. M. 1976 (Original: Basel 1939).
-
Funcken, Liliane & Fred: L’armement et la vie militaire au XVIIIe siècle, Paris 1975.
-
Schilling, Lutz: Adlige Jagd im Alten Reich: Zur politischen Kultur des Adels im 17. und 18. Jahrhundert, Göttingen 1994.
-
Brülls, Holger / Könemann, Dorothee: Denkmalverzeichnis Sachsen-Anhalt, Band 10.2 Ohrekreis, Petersberg 2001.
-
Bergner, Heinrich: Bau- und Kunstdenkmäler des Kreises Wolmirstedt, Halle 1911.
-
Landesarchiv Magdeburg, Rep. H Angern Nr. 76: General-Inventarium Schloss Angern, Januar 1752 .