Sehr gerne. Die im Inventar von 1752 überlieferten Pistolenpaare aus dem Besitz des sardischen Generals Christoph Daniel Freiherr von der Schulenburg stellen ein besonderes Segment seiner Waffensammlung dar. Sie sind nicht nur militärische oder jagdliche Gebrauchsgegenstände, sondern emblematische Objekte adliger Kultur im 18. Jahrhundert: technisch raffiniert, handwerklich kunstvoll und symbolisch hoch aufgeladen.
Die Pistolenpaare Christoph Daniels
Repräsentation, Diplomatie und Kunsthandwerk im Kleinstformat
1.
Ein Paar blau angelaufene Pistolen mit Cattal. Schlössern
Analyse:
Das „blau angelaufene“ Finish verweist auf ein gezieltes thermisches Verfahren, bei dem die Läufe durch kontrolliertes Erhitzen eine glänzende, blauschwarze Schutzschicht erhielten. Diese sogenannte Brünierung diente sowohl der Ästhetik als auch dem Korrosionsschutz.
Das „Cattal. Schloss“ dürfte ein Cattalanisches Schloss (von Catalan lock) meinen – eine Form des Steinschlosses, die besonders in Südfrankreich und Katalonien verbreitet war. Diese Schlossform war robust und wurde häufig mit kunstvollen Gravuren versehen.
Kontext:
Diese Pistolen stehen für noblen Pragmatismus – funktional, elegant und regional geprägt. Die katalanische Bauart verweist auf Schulenburgs internationale Ausrichtung und seine Bindung an südeuropäische Offizierskreise. Ihre Blaufärbung unterstreicht die modische Affinität des Besitzers.
2.
Ein Paar mit Silber garnierte „Provincial à Turin“
Analyse:
Die Bezeichnung „Provincial à Turin“ könnte sich auf eine in Turin gefertigte oder im Piemont verbreitete Pistolenform beziehen. Turin war im 18. Jahrhundert ein wichtiges Zentrum der Waffenschmiedekunst und Hoflieferant des Königreichs Sardinien – also direkt mit Christoph Daniels Wirkungsbereich verknüpft.
Die Silbergarnitur verweist auf fest aufgenietete oder aufgesetzte Zierelemente, meist an Griff, Abzugsbügel oder Schlossplatte.
Kontext:
Diese Pistolen dürften Schulenburg als Repräsentant der sardischen Krone verliehen oder ihm in diplomatischer Funktion geschenkt worden sein. Solche Waffen trugen den Glanz des Hofes in den Feldalltag und symbolisierten Verbundenheit mit der Dynastie (vgl. Bergner 1911, S. 35).
3.
Ein Paar „Boyer à Rolle“, blau angelaufen
Analyse:
Die Bezeichnung „Boyer“ verweist vermutlich auf einen französischen oder savoyischen Büchsenmacher dieses Namens. „à Rolle“ könnte ein technisches Detail oder ein Ort sein – möglicherweise Rolle am Genfersee, ein bekannter Durchgangsort in der Grand Tour.
Auch hier ist die Blaufärbung Ausdruck von Mode und technischem Stil.
Kontext:
Die Kombination von regionaler Signatur (Boyer) und technischer Raffinesse (Blaufärbung) macht diese Pistolen zu mobilen Identitätsträgern – sie markieren Schulenburg als Angehörigen eines überregionalen, frankophonen Offiziersadels.
4.
Ein Paar mit Messing garnierte „Sig. Stornati“, auf die Läufe in Gold
Analyse:
Diese Pistolen sind besonders prächtig: Neben einer Messinggarnitur – oft an Kolbenhals oder Ladestockhalterungen – tragen sie goldene Inschriften oder Ornamente direkt auf den Lauf aufgebracht. Der Name „Sig. Stornati“ verweist mutmaßlich auf einen italienischen Büchsenmacher, wahrscheinlich aus Brescia oder Gardone.
Kontext:
Diese Pistolen sind der Inbegriff von Prunkwaffen, die weniger dem Gebrauch als der Selbstdarstellung dienten. Vergoldete Läufe waren ein kostspieliges Extra und häufig in Schaurüstungen oder diplomatischen Geschenksätzen vertreten (vgl. Funcken 1975, L’armement au XVIIIe siècle). Der Name des Herstellers auf dem Lauf spricht zudem für ein hohes Selbstbewusstsein der Werkstatt – ein Zeichen von Qualität und Renommee.
5.
Ein Paar blau vergüldet, mit Kriegsarmaturen verzieret
Analyse:
Hier handelt es sich vermutlich um Paradepistolen, deren Oberflächen gleichzeitig brüniert (blau angelaufen) und vergoldet sind – eine seltene Kombination, die sowohl auf den Kontrast von Metallfarben als auch auf das Spiel von Lichtreflexen setzt. „Kriegsarmaturen“ meint Dekorelemente in Form von Trophäen, Rüstungen, Helmen oder Kanonen.
Kontext:
Diese Pistolen dürften eigens für Repräsentationszwecke in einem Offiziersporträt oder als Bestandteil einer Uniform entworfen worden sein. Derartige Pistolenpaare erscheinen oft in zeitgenössischen Bildnissen etwa im Stil von Louis Tocqué oder Antoine Pesne – als Teil des martialischen Ikonografie-Repertoires des Adels.
6.
Ein Paar „Brescianer“ von „Sig. Zanoni“
Analyse:
Brescia, das lombardische Zentrum der Waffenkunst, war im 18. Jahrhundert ein Gütesiegel für präzise und verzierte Schusswaffen. „Sig. Zanoni“ ist vermutlich ein Meister der traditionsreichen Zanoni-Werkstatt, bekannt für fein gravierte Schlossplatten und harmonisch geschwungene Kolben.
Kontext:
Der Besitz eines solchen Pistolenpaars bedeutete Kunstbesitz im wörtlichen Sinne. Solche Waffen waren porträtfähig – also repräsentabel in der bildenden Kunst, etwa auf Porträts oder Vitrinen. Sie wurden selten geführt, sondern gezeigt: in Vitrinen, bei Empfängen oder als Bestandteil von Hochzeits- und Diplomatiegeschenken.
7.
Ein Paar „Damascirte“ von „Sig. Mastrieto“
Analyse:
Damastläufe wurden durch das Verschweißen unterschiedlicher Stahlsorten gefertigt, wodurch sich eine markante Wellenstruktur auf der Oberfläche ergibt. „Sig. Mastrieto“ lässt sich als italienischer oder baskischer Waffenmeister vermuten.
Kontext:
Damast war sowohl funktional als auch dekorativ – er versprach Elastizität und Sprengsicherheit, zugleich war das Damastmuster ein ästhetisches Qualitätsmerkmal. Die Nennung des Meisters verweist auf ein ausgeprägtes Markenbewusstsein des Adels: Man besaß keine Pistole – man besaß eine Mastrieto.
8.
Ein Paar kleine, welche Christoph ordin. hat
Analyse:
Diese schlichten Pistolen waren offenbar Schulenburgs persönliche, alltägliche Begleiter („ordin.“ = ordinär). Sie stehen im Kontrast zur Prunkpracht der übrigen Paare.
Kontext:
In ihrer Schlichtheit kontrastieren sie mit den anderen Paaren – und dokumentieren die praktische Dimension eines Lebens, das nicht nur aus Repräsentation bestand. Diese Pistolen waren „werkzeughafte Waffen“, doch selbst sie dürften einen gewissen gestalterischen Anspruch erfüllt haben – wie etwa die Offizierspistolen aus preußischer Produktion mit dekorierten Messingbacken.
Fazit: Die Pistole als Visitenkarte des Adels
Das Ensemble der Pistolenpaare in Christoph Daniels Sammlung zeigt ein Spektrum von reinem Prunk über repräsentative Gebrauchsfähigkeit bis hin zu funktionalem Alltagsgerät. Gemeinsam ist ihnen die Funktion als symbolischer Ausdruck des Selbst – als Objekt der Weltläufigkeit, des Geschmacks, der technischen Kennerschaft und nicht zuletzt der Zugehörigkeit zu einem internationalen Militäradel.
Jede Pistole ist ein Miniaturporträt ihres Besitzers – eine geformte Form der Macht, in der sich Prestige, Technik, Herkunft und Ästhetik verschränken.
Literaturverzeichnis
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Funcken, Liliane & Fred: Le costume et les armes des soldats de tous les temps, Paris 1975.
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Gaehtgens, Thomas W.: Höfische Kunst als sozialer Impuls, München 1986.
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Schilling, Lutz: Adlige Jagd im Alten Reich, Göttingen 1994.
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Wille, Claudia: Mode und Macht – Hofkleidung im 18. Jahrhundert, Berlin 2007.
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Landesarchiv Magdeburg, Rep. H Angern Nr. 76: Inventarverzeichnis Schloss Angern, Januar 1752 .