Das Garderobeninventar des Generals Christoph Daniel von der Schulenburg, aufgenommen im Jahr 1752 im Zuge der umfassenden Inventarisierung des Schlosses Angern, bietet ein in seiner Detailliertheit bemerkenswertes Zeugnis adliger Kleidungskultur, Repräsentation und Lebensweise in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Die überlieferte Liste umfasst nicht nur Alltags- und Repräsentationskleidung, sondern auch Uniformen, Schlafgewänder, Reit- und Reiseausstattung, Textilien zur Körperpflege sowie umfangreiche Bestände an Wäsche, Tisch- und Bettzeug. Eine quellenkritische Betrachtung erlaubt Rückschlüsse auf Status, Funktionalität, Modebewusstsein, gesundheitliche Praktiken und materielle Symbolik des Adels in der späten Phase des Absolutismus.
1. Überlieferung und Entstehungskontext
Die Quelle gehört zum „Inventarium über das Rittergut Angern“, erstellt am 4. Juli 1738 und fortgeführt bis mindestens 1754, vermutlich zur Vorbereitung der Übertragung des Besitzes an die nächste Generation bzw. zur Absicherung des testamentarisch festgelegten Fideikommisses. Die Auflistung der Garderobe findet sich unter Raum Nr. 20 und ist als eigenständiger Abschnitt mit etwa 300 Positionen innerhalb der Gesamtinventarisierung hervorgehoben. Sie umfasst nicht nur Kleidung im engeren Sinne, sondern auch Möbel, Aufbewahrungskästen, Waffen, Accessoires, Stoffvorräte, Reitutensilien und eine vollständig dokumentierte Wäscheausstattung – ein Beleg für die Systematik und den hohen Dokumentationsanspruch im Sinne der Besitztransparenz eines Majoratsguts.
2. Kleidung als Repräsentationsmedium
Das Inventar verzeichnet mindestens 13 vollständige Anzüge (bestehend aus Rock, Weste, Hosen), darunter:
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ein blauer Uniformrock mit Goldstickerei,
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mehrere Sommerkleider mit Gold- oder Silbergalon,
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ein mit Porzellan-Crosse (d.h. gestickter Kreuzstab) verzierter Rock,
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ein scharlachfarbener Mantel mit Gold,
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ein roter Surtout mit schwarzsamtenen Aufschlägen und Pelzfutter.
Diese Stücke stehen exemplarisch für die vielfältige Symbolik von Farbe, Stoff und Schnitt im höfischen wie militärischen Kontext: Gold- und Silberstickereien kennzeichnen den Status als General in ausländischen Diensten (Sardinien-Piemont), während Farben wie Scharlach, Blau oder Schwarz in der höfischen Rangordnung und in Bezug auf politische Loyalitäten kodiert waren. Materialien wie Atlas, Brokat, Droguet, Demidrap und Serge de Rome verweisen auf eine ausgesprochen internationale Beschaffungsstruktur der Textilien – überwiegend französisch, italienisch oder niederländisch.
3. Uniform, Funktion und Alter
Bemerkenswert ist die Differenzierung zwischen blauer Galauniform mit Goldstickerei und einem „leichten Uniformkleid mit weißem Bast gefüttert“, das eher einem Sommer- oder Reisehabit entsprochen haben dürfte. Hinzu kommt ein „grautuchener Unienrock mit Etaminfutter“, möglicherweise ein einfacher Alltagsrock, sowie ein „Castorrock mit vergoldeten Knöpfen“ (Castor = Biberhaarfilz), der ebenfalls auf repräsentativen Außeneinsatz hinweist. Die zweiteilige Struktur des Inventars – mit getragenen, teils „alten“ Stücken und separiert verwahrten „eingepackten“ Kleidungsstücken – erlaubt Rückschlüsse auf eine Kombination aus gelebter Nutzung und archivierter Vorratshaltung.
4. Schlaf-, Haus- und Hygienekleidung
Ein umfangreicher Bestand an Schlafröcken, Pelzen und Hauskleidung dokumentiert den bürgerlich geprägten Wandel adliger Wohnkultur im 18. Jahrhundert. Hervorzuheben sind:
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ein blauer Pelz von petit gris,
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ein „grüner Mattheser Schlafrock, rot gefüttert“,
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ein „blauer Droguette-Schlafrock mit silbernen Knöpfen“,
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ein gestreifter Schlafrock aus Crüssau,
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sowie ein rot-silber geblümter Schlafrock, der offenbar einer Angehörigen („Gnädiges Fräulein“) zugeordnet war.
Diese Kleidungsstücke zeigen, dass private Kleidung zur häuslichen Repräsentation ebenso dazugehört wie zur persönlichen Bequemlichkeit und Pflege. Auch die Existenz einer Klistierspritze („seringue pour lavement“) im Garderobenraum verweist auf eine Integration medizinischer Körperpflege in den Bereich der Kleidung.
5. Wäsche, Textilien und Körperpraktiken
Der Wäschebestand ist bemerkenswert systematisch gegliedert: Über 90 Hemden, davon mindestens 26 mit Stickereien oder Spitzenmanschetten, 60 Halstücher unterschiedlicher Qualität (u. a. mit brabantischer Spitze), Dutzende Schnupf-, Nacht- und Taschentücher, Strümpfe aus Filoselle (Flockseide), Zwirn, Baumwolle und Seide, sowie gestickte Unterkamisole und Nachthemden für Sommer und Winter. Ergänzt wird dies durch:
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Barttücher,
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Waschservietten,
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Pleureusen (Schultertücher, auch zum Einhüllen des Gesichts),
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sowie diverse Stoffballen zur Weiterverarbeitung.
Dieser Bereich dokumentiert nicht nur das Pflegebewusstsein, sondern auch die enge Verbindung zwischen Körper und Textil, zwischen sozialem Status und Hygiene im 18. Jahrhundert. Die Trennung von Kleidung für Haus, Amt, Repräsentation und Nachtruhe verweist auf ein differenziertes Selbstverständnis von Öffentlichkeit und Intimität.
6. Reit- und Repräsentationszubehör
Der Reitbedarf ist durch eine Serie prunkvoller Schabracken und Halfterkappen aus Samt und Tuch, in Grün, Gelb, Blau und Rot, mit Gold- und Silbergalon, Fransen und seidenen Fliegennetzen vertreten. Einige davon wurden offenbar aus älteren Kleidungsstücken oder Läuferhabit-Tressen umgearbeitet – ein Hinweis auf den Wertstoffcharakter solcher Textilien. Hinzu kommen:
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zwei Perücken,
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ein silberner Gürtel,
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ein Degen mit Pariser Griff und Seidenkuppel,
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ein Hut mit Goldborte.
Diese Ausstattungsgegenstände belegen das Zusammenspiel von militärischer Selbstdarstellung, höfischer Etikette und logistischer Mobilität.
Fazit
Das Garderobeninventar Christoph Daniel von der Schulenburgs offenbart nicht nur eine beeindruckende Fülle an Kleidung und Textilien, sondern reflektiert in seiner Struktur die vielschichtige Funktion von Kleidung als Ausdruck von Stand, Dienst, Repräsentation, Ritual und Intimität. Die Quelle steht exemplarisch für das konsolidierte Adelsverständnis im Übergang vom absoluten zum aufgeklärten Staat – ein Selbstverständnis, das sich im fein abgestimmten Wechselspiel zwischen französischer Hofmode, militärischer Uniformität und preußisch-sardinischer Verwaltungskultur manifestiert. In dieser Hinsicht ist das Inventar nicht nur eine Liste von Gegenständen, sondern ein Dokument gelebter Adelskultur in ihrer materiellen, sozialen und symbolischen Tiefe.