Die Oberbekleidung Christoph Daniel von der Schulenburgs im Spiegel des Inventars von 1752: Das Garderobeninventar Christoph Daniel von der Schulenburgs, aufgenommen im Jahr 1752 im Schloss Angern, umfasst über ein Dutzend vollständiger Kleidungsensembles – bestehend aus Röcken, Westen und Hosen – sowie zahlreiche Oberbekleidungsstücke, Surtouts, Uniformen und Pelze. Diese Sammlung dokumentiert nicht nur einen reichen textilen Besitz, sondern spiegelt die Lebensführung eines Generals des 18. Jahrhunderts zwischen höfischer Repräsentation, militärischer Funktion und standesgemäßem Alltag wider.
Militärische Repräsentation und höfischer Habitus
Ein Abgleich des um 1745 entstandenen Brustbildes Christoph Daniel von der Schulenburg mit dem Garderobeninventar von 1752 (Raum Nr. 20) offenbart eine bemerkenswerte Übereinstimmung zahlreicher im Bild dargestellter Elemente mit tatsächlich vorhandenen Kleidungs- und Ausrüstungsstücken. Neben dem zentralen blauen Uniformrock mit Goldstickerei (Inventarnr. 5), der im Porträt durch die goldbordierten Klappen, Manschetten und Taschen deutlich hervorgehoben ist, lassen sich weitere ikonographische Details unmittelbar im Inventar wiederfinden【Gutsarchiv Angern, Rep. H 76, Nr. 76, Raum Nr. 20】. Er dürfte dem Ornat Schulenburgs als General in sardischen Diensten entsprochen haben – eine Position, die er mit Auszeichnung im Dienste Viktor Amadeus’ II. von Sardinien innehatte¹. Uniformen fungierten nicht nur als Rangabzeichen, sondern als Zeichen politischer und kultureller Einbindung in die militärische Ordnung europäischer Höfe.
So trägt der Porträtierte eine auffällig gemusterte, floral verzierte Seidenweste mit goldenen Applikationen, wie sie im Inventar unter mehreren kostbaren Stoffen aufgeführt wird – darunter eine „Weste weiß und rot mit Gold geblümt“, eine aus „Broccadór“ sowie solche aus „Toile d’argent“ und „Droguet en Or“. Diese französischen und italienischen Luxusstoffe entsprechen exakt dem Typus höfischer Festkleidung der 1730er- und 1740er-Jahre【vgl. Roche 1996, S. 44–52】. Auch die im Bild sichtbaren Rüschenmanschetten und Spitzenbesätze des Hemdes finden ihre Entsprechung im Inventar: Dort sind u. a. sechs „Hemden mit Garnitur von brabandter Spitzen“ sowie „neun Paar Spitzenmanschetten“ verzeichnet – beides deutliche Indizien für das repräsentative Innengewand, das im Porträt zum Vorschein kommt. Ein besonders hervorstechendes Accessoire ist die goldverzierte Schärpe, die Schulenburg um den Leib trägt. Diese dürfte mit der im Inventar erwähnten „Mantellotte in Gold“ identisch sein – ein Begriff, der im 18. Jahrhundert häufig auch für schärpenartige Leibstücke oder Schulterüberwürfe verwendet wurde.
Ein weiteres charakteristisches Detail des Porträts von Christoph Daniel ist das schwarze, samtartig schimmernde Brustteil, das unter der goldverzierten Uniformweste hervorragt. Dieses Element findet im Garderobeninventar von 1752 eine direkte Entsprechung: Dort ist eine „schwarzsamtene Weste und zwei Paar Hosen“ aufgeführt【Gutsarchiv Angern, Rep. H 76, Nr. 76, Raum Nr. 20】. Die Kombination mit gleich zwei Hosen deutet auf ein fest zugeordnetes Ensemble hin – möglicherweise eine halboffizielle Festkleidung oder formelles Gesellschaftsgewand. Schwarz war im 18. Jahrhundert nicht nur Trauerfarbe, sondern auch ein Symbol für Würde, Ernsthaftigkeit und staatsmännische Zurückhaltung, insbesondere im Kontext von Hofdienst oder diplomatischer Funktion【vgl. Pastoureau 2008, S. 75–81】. Im Porträt erfüllt das schwarze Samtstück daher eine doppelte Funktion: Es akzentuiert optisch die Goldstickereider Uniform und verweist zugleich auf disziplinierte Repräsentation, wie sie für einen General im Dienst des Hauses Savoyen angemessen war.
Erwähnenswert ist zudem die im Porträt deutlich erkennbare Allongeperücke, deren voluminöse Form mit sorgfältig drapierten Seitenlocken dem barocken Ideal von Würde und Gelehrsamkeit entsprach. Auch sie ist im Inventar dokumentiert: Zwei „geknüpfte Perücken“ sind unter den persönlichen Garderobengegenständen aufgeführt und dürften Schulenburgs offiziellen Auftritten vorbehalten gewesen sein.
Die Kombination aus Goldgalon, Ordensband, Perücke und dem symbolischen Griff zur Helmplatte deutet auf den Rang eines Generals im höfisch-militärischen Kontext hin. Der Rock zeigt einen breiten, schimmernden Schärpengürtel und eine goldverzierte Schärpe, wie sie ebenfalls unter dem Begriff „Mantellotte in Gold“ im Garderobeninventar (Nr. 31) auftaucht. Das Bildnis visualisiert somit exemplarisch die im Text dokumentierte Schnittmenge aus Repräsentation, Uniformierung und barocker Selbststilisierung².
Portrait von Christoph Daniel v.d. Schulenburg um 1745 – in Uniform mit goldbesticktem Rock, Ordensstern und barocker Allongeperücke
Der an der Brust getragene Ordensstern ist mit hoher Wahrscheinlichkeit als der „Ordre du Mérite de l’Aigle d’Or“ (Orden vom Goldenen Adler) zu identifizieren, ein seltener Hof- und Verdienstorden des Königreichs Sardinien⁴., der insbesondere im Kontext des Hauses Savoyen an verdiente Offiziere ausländischer Herkunft verliehen wurde. Christoph Daniel erhielt diese Auszeichnung vermutlich im Jahr 1747, zeitgleich mit seinem Abschied aus dem aktiven Militärdienst im sardischen Heer. Der Orden bestand aus einem achtstrahligen Silberstern mit goldenem Adler im Zentrum und symbolisierte neben persönlicher Verdiensterweisung auch die Einbindung in die höfische Ordnung des savoyischen Hofes. Die sichtbare Präsentation des Ordens im Porträt unterstreicht damit nicht nur die militärische Laufbahn Schulenburgs, sondern seine Position innerhalb eines transnationalen Adels- und Offiziersnetzwerks⁵ im Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus【vgl. Schreiber 1910, S. 72–76】.
Ein weiteres ikonographisch bedeutendes Detail im Porträt Christoph Daniel von der Schulenburg ist der Hof- bzw. Zeremoniendegen, den der Dargestellte mit der linken Hand locker umfasst. Dieses Element verweist nicht auf militärische Einsatzfähigkeit, sondern auf höfisch kontrollierte Repräsentation und die symbolische Integration in den Adelsstand⁶. Zwei solcher Degen sind im Garderobeninventar von 1752 ausdrücklich belegt: Zum einen ein „Pariser Degen nebst blauem Seidenkuppel“, zum anderen ein „Trauerdegen“【Gutsarchiv Angern, Rep. H 76, Nr. 76, Raum Nr. 20】. Der Pariser Degen, vermutlich in feiner französischer Ausführung mit Seidenband und vergoldeter Montierung, dürfte dem im Porträt gezeigten Exemplar entsprechen. Die Herkunftsbezeichnung „Pariser“ verweist auf die modische Vorherrschaft französischer Degenmanufakturen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, insbesondere bei Hofwaffen für zivile Nutzung. Der blaue Seidenkuppel am Griff ist nicht nur modische Zutat, sondern könnte zugleich auf Schulenburgs Verbindung zum Königreich Sardinien anspielen, dessen Hausfarbe Blau war. Der Trauerdegen hingegen war wahrscheinlich schlicht gehalten und für kirchliche oder offizielle Anlässe bestimmt. In beiden Fällen zeigt sich: Der Degen war kein Waffeninstrument, sondern ein Träger von Status, Ehre und sozialem Kodex im Kontext höfischer Öffentlichkeit.
Besondere ikonographische Bedeutung kommt dem Paradehelm zu, auf dem Christoph Daniel seine linke Hand ruhen lässt. Der Helm, aus geschwärztem Metall mit Helmkamm und Federbuschhalter, stellt kein funktionales Kriegselement dar, sondern ein repräsentatives Attribut militärischer Tugend. In der Bildsprache des 18. Jahrhunderts symbolisiert der abgelegte, aber präsentierte Helm nicht das aktive Kämpfen, sondern kontrollierte Macht – das Beherrschen der Gewalt durch Stand und Erfahrung⁸. Anders als Ordenszeichen oder der Degen ist der Helm jedoch nicht im Garderobeninventar von 1752 aufgeführt【vgl. Gutsarchiv Angern, Rep. H 76, Nr. 76, Raum Nr. 20】. Dies legt nahe, dass es sich beim dargestellten Helm um ein künstlerisches Bildmotiv handelt, das typologisch auf klassizistische Vorbilder zurückgeht und im Sinne der ikonographischen Aufwertung eines Militärporträts zu verstehen ist. Auch im Bestand der Waffenkammer oder der Polterkammer des Schlosses wurde im Inventar von 1752 kein entsprechendes Objekt aufgeführt. Alternativ könnte der Helm auch ein Atelierrequisit oder ein ideales Zitat römischer Feldherrendarstellungen sein – vergleichbar mit dem Bildprogramm preußischer oder savoyischer Generäle jener Zeit. So steht der Paradehelm exemplarisch für die Differenz zwischen realem Besitz und symbolischem Anspruch: Er verweist nicht auf ein katalogisierbares Objekt, sondern auf ein Tugendideal, das Christoph Daniel von der Schulenburg als souveränen, in sich ruhenden Träger militärischer Ordnung und höfischer Disziplin inszeniert.
Zusammengenommen erlaubt das Inventar von 1752 eine seltene Form der objetbezogenen Bildinterpretation, bei der Kleidungsstücke, Accessoires und sogar bestimmte textile Techniken nicht nur symbolisch gedeutet, sondern quellenbasiert zugeordnet werden können. Damit bestätigt sich: Das Porträt Christoph Daniels ist nicht allein Ausdruck eines idealisierten Repräsentationsanspruchs, sondern basiert auf tatsächlich vorhandener Ausstattung. Es inszeniert den Träger mithilfe konkreter Objekte aus dessen Lebenswelt – als militärisch geehrten, kultiviert gekleideten und transnational eingebundenen Adligen der Ära des aufgeklärten Absolutismus.
Farbsemantik und Materialsymbolik
Die Farben der dokumentierten Kleidungsstücke folgen barocker Symbolik: Schwarz steht für Ernst, Würde und formelle Gelegenheiten; Rot signalisiert Macht, Repräsentation und Präsenz; Blau verweist auf Loyalität und militärische Disziplin³. Besonders auffällig ist ein scharlachfarbener Mantel mit Goldverzierung (Inventar Nr. 19), ein roter Surtout mit schwarzsamtenem Aufschlag und Pelzfutter (Nr. 12), sowie ein weißlicher Demidrap-Anzug mit goldener Bordierung (Nr. 11) – jeweils typische Beispiele höfischer Öffentlichkeit im Habitus eines Offiziersadligen.
Verwendete Materialien wie Castor (Biberfilz), Petit Gris (Eichhörnchenpelz), Atlas, Droguette und Gros de Tours zeigen eine ausgeprägte Vorliebe für französische und italienische Textilwaren, wie sie im 18. Jahrhundert den europäischen Luxusmarkt dominierten⁴. Die Unterscheidung zwischen aufwendigen Ausgehroben und schlichteren Dienstrocken mit Etaminfutter (Rauleinwand, vgl. Nr. 8) legt eine kontextabhängige Garderobenordnung offen – modisch differenziert und funktionsorientiert.
Kleidung als sozialer Raum
Die Garderobe Christoph Daniels folgt einer doppelten Ordnung: Sie ist sowohl Manifestation standesgemäßer Repräsentation als auch Ausdruck einer personalen Disziplin, wie sie im Selbstbild des aufgeklärten Adels hervorgetreten ist. Die Differenzierung nach Tageszeiten, Witterung, Repräsentationsgrad und Funktion – etwa Frack mit goldenen Knöpfen (Nr. 14), Schlafpelz (Nr. 16) oder grauer Alltagsrock (Nr. 6) – belegt die strukturelle Integration des Körpers in ein sozial codiertes Raum-Zeit-Regime⁵. Kleidung fungiert somit als Instrument sozialer Wirksamkeit, das im Wechselspiel zwischen öffentlichem Auftreten, privater Selbstführung und transnationaler Loyalität ausdifferenziert wurde.
Quelle
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Gutsarchiv Angern, Rep. H 76, Nr. 76: Inventar Schloss Angern, 1752, Raum Nr. 20.
Literatur
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Schreiber, Max: Die Orden und Ehrenzeichen des Hauses Savoyen, Stuttgart 1910, S. 72–76.
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Roche, Daniel: The Culture of Clothing. Dress and Fashion in the Ancien Régime, Cambridge 1996, S. 31–57.
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Pastoureau, Michel: Blau. Die Geschichte einer Farbe, Berlin 2001; Rot, Berlin 2017.
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Lemire, Beverly: Cotton and Fashion in the Eighteenth Century, in: Textile History 22 (1991), S. 377–384.
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Rublack, Ulinka: Dressing Up: Cultural Identity in Renaissance Europe, Oxford 2011, Kap. 4.
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Müller, Frank Lorenz: Der Fürst als Offizier, München 2012, S. 89.
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Ribeiro, Aileen: Dress in Eighteenth-Century Europe 1715–1789, New Haven 2002, S. 101–104.
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Watanabe-O'Kelly, Helen: Triumphall Shews, Oxford 1992, S. 152.