Status, Funktion und kulturelle Semantik im höfischen Haushalt: Die Ausstattung des Schlosses Angern mit Silber- und Porzellangeschirr um 1750 offenbart nicht nur den Reichtum und Repräsentationsanspruch eines hochadeligen Gutshauses, sondern auch dessen Einbindung in europäische Stiltraditionen, materiellen Statusgebrauch und kultivierte Tischkultur. Die in einem gesondert gefertigten Schrank im (oberen) Saal der ersten Etage aufbewahrten Silberobjekte waren nicht lediglich Gebrauchsstücke, sondern Teil eines fein abgestuften Systems höfischer Selbstvergewisserung, das auch im ländlichen Raum seine Gültigkeit besaß[1]. Leider haben sich keine dieser Gegenstände bis heute erhalten.
Der Silberbestand umfasst eine bemerkenswerte Vielfalt an Formen und Funktionen: Zwei komplette Siertouts – ausgestattet mit Senf- und Zuckerdosen, Öl- und Essigkaraffen sowie einer vergoldeten Muschel –, ein contournierter Waschsatz, mehrere Suppenschüsseln, Terrinen, Saucieren, Saladiers, Kohlenbecken und Leuchter. Besonders hervorzuheben sind die zahlreichen Stücke aus Augsburger Silber, das im 18. Jahrhundert als Qualitätsbegriff und stilprägendes Zentrum deutscher Silberkunst galt[2]. Neben funktionalen Gefäßen wurden auch Lichtgeräte in unterschiedlichen Größen aufgeführt: zwei große Leuchter mit Branschen, vier mittlere und kleine Leuchter, teils mit dem Wappen der Familie von der Schulenburg, sowie zugehörige Lichtputzen und Träger – eine Kombination, die auf festliche Tafeln ebenso wie auf alltagspraktischen Gebrauch verweist.
Ein ganzer Abschnitt des Inventars ist dem Besteck und dem Trinkgeschirr gewidmet: Von glatter bis geriffelter Arbeit, Augsburger Herkunft und vergoldeter Vermeiltechnik reichen die Varianten. Die Nennung von Spezialformen – Butterstecher, durchlöcherte Olivenlöffel, Eierstanden, Reiseservice – zeigt die Vielfalt an Esspraktiken und sozialen Anlässen, für die das Geschirr bereitstand. Die Silberausstattung des Tee- und Kaffeeservices mit Cafetieren, Teekessel, Zuckergeschirr, Karaffen und Löffeln unterstreicht die Einbindung des Hauses in die europäische Teekultur des 18. Jahrhunderts[3].
Der Porzellanbestand war ebenfalls differenziert: Neben einer Servicegruppe mit 12 Suppentellern, mehreren Schüsseln, Saladieren und Konfitürtellern finden sich Einzelstücke mit Farb- und Dekorangaben, z. B. in blau-weißer oder rot-goldener Bemalung. Einzelne Tassen (u. a. à la Capuccini) und zerbrochene Stücke verweisen auf Gebrauch und Verlust – ein Hinweis auf Alltagsnutzung neben Repräsentation. Die Herkunft bleibt zwar ungenannt, doch die Formensprache lässt auf ostasiatische Vorbilder bzw. Meissen oder Frankfurter Importe schließen. Ergänzt wurde der Bestand durch mehrere Stücke aus einfacher Töpferware (z. B. Spülkumpf, Kaffeekannen, Butterbüchse), die funktionale Ergänzungen des eigentlichen Service darstellten.
Insgesamt zeugt die Kombination aus Silber- und Porzellanausstattung von einer vielschichtigen materiellen Kultur des Adels in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Das Service diente dabei nicht nur der Verpflegung, sondern der Inszenierung von Ordnung, Geschmack und Zugehörigkeit. In seiner stilistischen Ausrichtung (Augsburger Silber), in seiner quantitativen Ausprägung (mehrere Dutzend Teller und Löffel) und in der Integration von Reise- und Teeservice spiegelt der Bestand im Schloss Angern ein fest verankertes Verständnis von Statuspflege, Mobilität und europäischem Stilbewusstsein.
Fußnoten
[1] Vgl. Gutsarchiv Angern, Rep. H Nr. 76 (1739), Inventarverzeichnis: Silber- und Porzellanschrank, erster Stock.
[2] Zum Rang Augsburger Silbers vgl. Bimbenet-Privat, Michèle: Augsburger Silber. Die Sammlung des Louvre, Paris 1995.
[3] Zur höfischen Teekultur im 18. Jahrhundert siehe Jütte, Robert: Kulturgeschichte des Kaffees, München 1997, S. 61–85.