Sehr gerne – hier folgt das abschließende interpretierende Kapitel zu deinem Essay über die Waffensammlung Christoph Daniel Freiherr von der Schulenburgs:
Waffen als Lebenslauf
Das Kabinett Christoph Daniels zwischen Krieg, Kunst und Kultur
Wer das „zweite Kabinett“ des Schlosses Angern im Jahr 1752 betritt, begegnet nicht bloß einer Sammlung von Waffen – er betritt ein räumlich verdichtetes Selbstporträt. Die dort gelisteten Gewehre, Pistolen, Säbel, Degen, Messer, Sättel und Accessoires formen ein geschlossenes Symbolsystem, das den Lebensentwurf eines sardischen Generals in metallene, hölzerne und textile Sprache übersetzt. Das Inventar dokumentiert dabei nicht nur Besitz, sondern Bedeutung – jede Waffe erzählt eine Geschichte, nicht allein über Herkunft und Funktion, sondern über das Verhältnis des Adligen zur Welt.
Die Haubitze verweist auf Christoph Daniels militärischen Aufstieg in savoyischen Diensten, seine Kugelbüchse auf seine adlige Herrschaft über Wald und Wild. Die Flinten aus Pistoria und Brescia erzählen von diplomatischen Wegen, die blau vergüldeten Pistolen von Rang und Präsentation am Hof. Der türkische Säbel und das Messer bringen die Vorstellung vom „edlen Orient“ ins Kabinett – nicht als Feindbild, sondern als kultivierte Trophäe des Wissens und der Macht. Die Reiseaccessoires – Jagdtasche, Peitsche, grünsamtener Sattel – zeigen den General nicht nur als Kriegsmann, sondern als bewegten Menschen, der auf Feldzügen wie auf höfischen Wegen zuhause ist.
Diese Sammlung lässt sich nicht trennen vom architektonischen und kulturellen Gesamtkonzept des Schlosses Angern, das Christoph Daniel ab 1738 im Geist des Rokoko errichten ließ. Der dreiflügelige Bau, mit seiner Enfilade der Gartenzimmer, den grün und gold gefassten Kabinetten und den Deckengemälden chinesischen Geflügels, inszeniert eine Welt, in der sich Natur, Kunst und Macht verschränken. Das Waffen- und Bücherkabinett – als letzte Station dieser Raumfolge – fungiert dabei als intimer Rückzugsort wie als Bühne der Erinnerung.
Hier, inmitten von Damasttapeten, Supraporten, Schreibpulten und silberverzierten Pistolen, verdichtet sich das, was man im 18. Jahrhundert Lebenskunst nannte: ein Leben im Dienst der Krone, doch mit Bildung und Geschmack; ein Leben zwischen der Hand am Zügel und dem Blick ins Manuskript; ein Leben, das sich nicht in Uniformen erschöpft, sondern sie mit einem ethnografischen, topografischen und ästhetischen Kosmos auflädt.
Waffen werden in diesem Kontext zu mehr als Mitteln der Gewalt: Sie werden zu Narrativen in Stahl, zu Chiffren für Stationen eines Lebens, das zwischen Sardinien, Piemont, Deutschland, dem Osmanischen Raum und den Wäldern der Altmark verlief. Christoph Daniel von der Schulenburg war nicht bloß ein Sammler von Objekten, sondern von Bedeutungen – sein Kabinett war Archiv, Bühne und Spiegel zugleich.
In einer Zeit, da sich Herrschaft zunehmend über Verwaltung, Besitz und symbolische Kommunikation legitimierte, war die Waffe – sei sie auch nie benutzt – ein aktives Element der Selbstbehauptung. Und so hinterlässt uns Christoph Daniel kein bloßes Arsenal, sondern ein „Waffen-Ich“: gegliedert, gestaltet, gerichtet auf die Nachwelt.
Literaturauswahl (Auszug)
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Elias, Norbert: Über den Prozeß der Zivilisation, Frankfurt a. M. 1976.
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Schilling, Lutz: Adlige Jagd im Alten Reich, Göttingen 1994.
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Ebert-Schifferer, Sybille: Kunstkammern der Renaissance, München 2002.
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Prochazka-Eisl, Gisela: Der Orient in der habsburgischen Waffenkammer, Wien 2006.
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Wille, Claudia: Mode und Macht – Hofkleidung im 18. Jahrhundert, Berlin 2007.
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Landesarchiv Magdeburg, Rep. H Angern Nr. 76: Inventarverzeichnis Schloss Angern, Januar 1752 .