Vom Gebrauch zur Bedeutung in der Sammlung Christoph Daniel von der Schulenburg
Im Zentrum jeder Waffensammlung des Adels im 18. Jahrhundert steht eine ambivalente Bewegung: Der Übergang der Waffe von einem funktionalen Instrument hin zu einem Repräsentationsobjekt. Diese Transformation ist kein bloßer Alterungsprozess oder materieller Verschleiß, sondern Ausdruck eines kulturellen Wandels – eines Verschiebens der Bedeutung von Handlung zu Erzählung.
In der Sammlung von Christoph Daniel von der Schulenburg ist diese Transformation besonders deutlich zu beobachten. Sie verläuft nicht zufällig, sondern lässt sich als bewusste Ordnung erkennen, in der das Biografische und das Symbolische untrennbar miteinander verschränkt sind.
1. Die „ordinären“ Pistolen – Zeugnisse des persönlichen Gebrauchs
Am deutlichsten sichtbar wird der Übergang bei jenem Paar kleiner Pistolen, das im Inventar schlicht als „welche Christoph ordin. hat“ beschrieben wird. Kein Verzierungsgrad, keine Herkunftsangabe, keine Widmung – lediglich der Verweis auf den persönlichen, alltäglichen Gebrauch. Es sind jene Waffen, die Christoph Daniel vermutlich während seines aktiven Militärdienstes am Gürtel, im Holster oder in der Satteltasche trug – nicht zu repräsentativen Zwecken, sondern zur Selbstverteidigung, zur Ehre, zum Kommando.
Ihre Aufnahme ins Kabinett dokumentiert den entscheidenden Schritt: Der Gebrauchsgegenstand wird zum Erinnerungsstück. Ihre Schlichtheit ist dabei kein Mangel – sie ist das Gütesiegel der Authentizität. Es sind keine Objekte, die gekauft wurden, um gesehen zu werden. Sie sind da, weil sie waren.
2. Der Musquetton – veredelte Funktionalität
Eine Zwischenstellung nimmt der Musquetton mit Perlmutter und Elfenbein ein. Ursprünglich handelt es sich um eine Waffe mit militärischer Bestimmung – eine Kurzvariante der Muskete, geeignet für Reiter und leichte Truppen. In Schulenburgs Besitz jedoch ist der Musquetton kunstvoll veredelt: Perlmutter, Elfenbein, eventuell ein reich verzierter Schlossmechanismus.
Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass Christoph Daniel eine solche Waffe in jüngeren Jahren im schlichten Zustand führte – und dass die heute erhaltene Form eine spätere ästhetische Sublimierung des ursprünglich Funktionalen darstellt. Die Waffe wird damit zu einer „Narrativen Assemblage“: Das Erlebte wird nicht verklärt, sondern überhöht – in einer Form, die die Erfahrung konserviert und gleichzeitig stilisiert.
3. Der Degen – zwischen Uniform und Inszenierung
Der im Inventar genannte „Degen von Prineesbeck“ ist ein klassisches Beispiel für ein Objekt, das immer zugleich funktional und symbolisch war. In seiner aktiven Phase diente der Degen Schulenburg als Zeichen des Standes, der Wehrhaftigkeit und der Legitimation. Als General konnte er auf ein ganzes Arsenal militärischer Mittel zurückgreifen – doch der Degen war sein persönliches Signum.
Mit dem Ende der militärischen Laufbahn wird auch der Degen neu kontextualisiert. Er liegt nicht mehr in der Kaserne, sondern im Kabinett. Er dient nicht mehr der Abwehr, sondern der Erinnerung. Der Degen wird Teil eines ikonografischen Selbstporträts: ein Bild aus Dingen, in dem der Träger fortlebt.
4. Die Pistolenpaare – Repräsentation als Funktion
Noch komplexer ist der Übergang bei den zehn Pistolenpaaren, die im Inventar folgen. Sie sind zwar funktionstüchtig, doch ihre Blaufärbung, Vergoldung, Silber- und Messingverzierungen, Gravuren und Signaturen zeigen unmissverständlich: Diese Waffen waren von Beginn an für die Repräsentation gedacht. Sie wurden nicht aus dem Gebrauch genommen – sie wurden niemals für ihn geschaffen.
Und doch ist ihre Repräsentationsfunktion eine eigene Form der sozialen Wirksamkeit: Eine mit Silber garnierte Pistole „à Turin“ ist ein tragbares Bündnisdokument. Eine pistole „Sig. Zanoni“ ein Zeichen internationalen Geschmacks. Insofern ist auch hier eine Funktion gegeben – allerdings eine, die nicht in der Praxis, sondern in der Performanz liegt: Das Zeigen, Tragen, Besitzen ist die Handlung selbst.
5. Der Waffenraum als Erinnerungsarchitektur
Die Tatsache, dass alle diese Objekte – von der gebrauchten Pistole bis zur vergoldeten Prunkwaffe – im gleichen Raum aufbewahrt werden, ist kein Zufall. Sie erzählen nicht nur verschiedene Geschichten, sondern sie erzählen sie gemeinsam. Sie formen eine Erinnerungsarchitektur, in der aus Aktion Bedeutung wird, aus Kampf Geschichte, aus Handlung Stil.
Der Übergang von Funktion zu Repräsentation ist dabei nicht als Verlust zu verstehen, sondern als Transformation. Die Waffe wird nicht nutzlos, sie wird bedeutungsvoll. Und im Raum des Kabinetts erhält sie einen neuen Auftrag: zu erzählen, zu erinnern, zu ordnen.
Fazit: Bedeutung als zweite Laufbahn
Christoph Daniel von der Schulenburg hat seine Waffen nicht nur geführt, sondern später bewusst angeordnet, aufgehoben, umgedeutet. Sie sind nicht vergessen – sie sind verwandelt. In ihrer neuen Rolle als Repräsentationsobjekte schreiben sie Geschichte: seine eigene.
Literaturverweise
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Landesarchiv Magdeburg, Rep. H Angern Nr. 76: Inventarverzeichnis Schloss Angern, Januar 1752 .
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Elias, Norbert: Über den Prozeß der Zivilisation, Frankfurt a. M. 1976.
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Wüstefeld, Thomas: Kriegsgerät im höfischen Raum, in: Müller (Hrsg.): Waffen als Kulturgut, 2004.
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Ebert-Schifferer, Sybille: Kunstkammern der Renaissance, München 2002.
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Schulenburg, Alexander / v. Krosigk, Klaus-Henning: Publikation Angern, 2022 .