Christoph Daniel von der Schulenburg und die europäische Kultur des Waffen-Sammelns im 18. Jahrhundert
Im 18. Jahrhundert entwickelt sich innerhalb der europäischen Adelskultur eine hochdifferenzierte Praxis des Sammelns, die weit über das bloße Anhäufen von Objekten hinausgeht. Sie ist Ausdruck eines kulturellen Selbstverständnisses, in dem Besitz, Wissen und Repräsentation zu einer Einheit verschmelzen. Waffen – einst Werkzeuge der Fehde oder Jagd – werden in diesem Kontext zu Symbolen des Rangs, der Bildung und der Weltläufigkeit.
Auch Christoph Daniel Freiherr von der Schulenburg steht mit seiner Waffensammlung in dieser Tradition. Doch sein Kabinett in Angern folgt nicht einfach einem modischen Muster – es steht inmitten europäischer Konventionen und behauptet sich zugleich durch individuelle Prägung. Ein Vergleich mit herausragenden Sammlern seiner Zeit verdeutlicht, welche Formen des Sammelns er übernahm – und welche er bewusst transformierte.
1. Waffen als Statussymbol – das Allgemeine
Waffensammlungen galten im 18. Jahrhundert als legitime Ausdrucksform männlicher Standesidentität. Sowohl militärisch aktive als auch landsässige Adlige versammelten in ihren Schlössern Objekte, die ihre Loyalität gegenüber der Krone, ihre Teilnahme an Feldzügen oder ihr Jagdrecht sichtbar machten. In den Kunst- und Wunderkammern von Ambras (Ferdinand II. von Tirol), Dresden (Kurfürst August der Starke) oder Belvedere (Prinz Eugen von Savoyen) bildeten Waffen oft das Zentrum der Darstellung männlicher Tugend: virtus, fortitudo, militia.
Auch bei Schulenburg ist dieser Symbolwert zentral: Seine Sammlung beginnt mit einer Haubitze, umfasst mehrere Flinten und Pistolenpaare, dazu einen Degen, Jagdzubehör, aber auch Objekte wie einen türkischen Säbel – allesamt Ausdruck seiner Funktion als General, Ritter und Grandtourist .
2. Die höfischen Kunstkammern – Repräsentationsräume des Absolutismus
In großen Höfen wurde das Waffensammeln systematisch betrieben und durch eigene Arsenalräume (etwa im Dresdner Zeughaus oder dem Berliner Zeughaus Unter den Linden) öffentlich zur Schau gestellt. Diese Sammlungen dienten nicht nur der Lagerung, sondern der Legitimation der Herrschaft durch Machtästhetik. Waffen wurden dabei oft mit Kunstwerken kombiniert – ein Degen neben einer Miniatur, ein Pallasch neben einer Weltkarte.
Schulenburgs Kabinett ist hingegen privater – kein Museum der Monarchie, sondern ein Raum adliger Selbstreflexion. Doch seine Ordnung, Materialwahl und internationale Auswahl stehen diesen großen Sammlungen in nichts nach. Insbesondere die fein differenzierten Pistolenpaare – von Turin bis Brescia – erinnern an die Kuriositätensysteme der Kunstkammerzeit, in denen die Vielfalt über die Funktion dominierte (vgl. Ebert-Schifferer 2002).
3. Vergleich mit Prinz Eugen von Savoyen
Ein besonders relevanter Vergleich ist Prinz Eugen (1663–1736), dessen Belvedere-Sammlung zahlreiche Prunkwaffen enthielt: vergoldete Pistolen, Damastklingen, osmanische Bögen. Auch er hatte in südlichen Feldzügen (Ungarn, Italien) gedient und sammelte vielfach Beutewaffen und diplomatische Geschenke. Besonders ausgeprägt war bei ihm der Bezug zur osmanischen Kriegsbeute, die er als Trophäen in seine Räume integrierte.
Auch Christoph Daniel verfügte über türkische Stücke – einen Säbel, ein Messer – und sammelte Waffentypen aus italienischer, spanischer und südfranzösischer Tradition. Seine Sammlung wirkt wie eine verkleinerte, personalisierte Version höfischer Sammlungsstrategien – mit stärkerem Fokus auf Erinnerung als Repräsentation.
4. Individualisierung bei Christoph Daniel
Was Schulenburgs Sammlung von der seiner Zeitgenossen unterscheidet, ist die Verknüpfung mit dem eigenen Lebenslauf. Sie ist weniger ein Arsenal höfischer Ästhetik als ein Material der Autobiografie. Besonders deutlich wird das durch:
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Die Benennung eines Pistolenpaars als „welche Christoph ordin. hat“ – ein Objekt des Gebrauchs, nicht der Repräsentation.
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Die geordneten Typologien: zuerst militärisches Gerät, dann Flinten, dann Pistolen, dann Exotica – eine Art dramaturgischer Lebensgang.
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Die Kombination mit den „12 ersten Cesars und ihren Gemahlinnen“ – eine Rückbindung an antike Vorbilder von Herrschaft, eingebettet in den Raum der Waffen.
Solch eine Sammlung ist kein bloßes Arsenal – sie ist ein Ethos in Objekten. Während andere Sammler möglichst exotisch oder kostspielig sammelten, sammelte Christoph Daniel erinnernd, biografisch, mit Maß.
5. Der Unterschied zum Sammeln im 19. Jahrhundert
Ein abschließender Blick in die Zukunft zeigt den Unterschied: Im 19. Jahrhundert wird das Waffensammeln zunehmend antiquarisch – Sammler wie der preußische General von Rauch oder Mitglieder der Berliner Waffenakademie legen Wert auf systematische Typologie, auf wissenschaftliche Erschließung. Christoph Daniels Sammlung dagegen steht am Ende der barocken Sammlungstradition: Sie ist persönlich, erzählend, eingebettet in die Lebensführung eines Einzelnen.
Fazit: Zwischen Arsenal und Autobiografie
Christoph Daniel von der Schulenburg reiht sich ein in die lange Tradition europäischer Adelssammler – doch seine Sammlung unterscheidet sich durch ihren individuellen, lebensgeschichtlichen Fokus. Sie ist weder bloß Kriegstrophäe noch kunsthistorisches Kompendium, sondern eine in Waffen eingeschriebene Biografie. Und darin steht sie einzigartig zwischen den Sammlungen der großen Höfe – als private Erinnerungskultur in der Sprache der Macht.
Literaturverweise
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Ebert-Schifferer, Sybille: Kunstkammern der Renaissance, München 2002.
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Elias, Norbert: Über den Prozeß der Zivilisation, Frankfurt a. M. 1976.
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Schulenburg, Alexander / v. Krosigk, Klaus-Henning: Publikation Angern, 2022 .
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Landesarchiv Magdeburg, Rep. H Angern Nr. 76: Inventarverzeichnis Schloss Angern, Januar 1752 .
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Wüstefeld, Thomas: Kriegsgerät im höfischen Raum, in: Müller (Hrsg.): Waffen als Kulturgut, 2004.
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Funcken, Liliane & Fred: L’armement au XVIIIe siècle, Paris 1975.