Christoph Daniel von der Schulenburg (1679–1763), königlich-sardinischer General und preußischer Majoratsherr, zählt zu den prägenden Gestalten des 18. Jahrhunderts in der mitteldeutschen Adelslandschaft. Sein Einfluss auf die Entwicklung des Gutes Angern wie auch auf die Verwaltungspraxis des Landadels lässt sich anhand zahlreicher Quellen aus dem Bestand H 13 (Gutsarchiv Angern) rekonstruieren. Die archivalische Überlieferung erlaubt nicht nur Einblicke in seine ökonomischen und administrativen Maßnahmen, sondern auch in familiäre Netzwerke, testamentarische Verfügungsmacht und landesherrliche Kommunikation.
Synthese: Christoph Daniel von der Schulenburg und die Herrschaftspraxis im Spiegel des Gutsarchivs Angern
Die sieben Essays zur archivalischen Überlieferung des Gutsarchivs Angern zeichnen das Bild eines Adligen, der weit mehr war als ein Landbesitzer im 18. Jahrhundert. Christoph Daniel von der Schulenburg erscheint in diesen Quellen als Verwaltungsstratege, Bauherr, Richter, Militär, Netzwerker, Familienpatriarch und Gedächtnisstifter – ein Handlungstypus, der sich im Spannungsfeld zwischen frühneuzeitlicher Gutsherrschaft und aufklärerischer Modernisierung bewegte.
Im Zentrum seiner Herrschaft stand ein straff organisierter, juristisch gesicherter und wirtschaftlich durchstrukturierter Gutsbetrieb. Die Ausübung der Patrimonialgerichtsbarkeit (Kap. 1) und der Aufbau eines rechtsfesten Fideikommisses (Kap. 2) zeigen, wie Christoph Daniel seine Herrschaft nicht nur ausübte, sondern rechtlich verankerte und für kommende Generationen absicherte. Besitz wurde nicht als bloßes Eigentum verstanden, sondern als Quelle von Ordnung, Einfluss und historischer Kontinuität.
Gleichzeitig war seine Gutsherrschaft Ausdruck eines ökonomisch rationalisierten Systems (Kap. 3): Monatsextrakte, Viehregister, Ablösungsverträge und strikte Personalverwaltung belegen die Transformation feudaler Strukturen in ein kontrolliertes Betriebssystem. Die soziale Ordnung auf dem Gut war eng an diese ökonomische Logik gekoppelt (Kap. 4): Disziplin, Armenpflege, Gesundheitsaufsicht und Schule dienten nicht nur dem Gemeinwohl, sondern vor allem der Stabilität des Herrschaftsgefüges.
Die gebaute Umwelt war Teil dieser Ordnung: Schloss, Wege, Garten und Wirtschaftsgebäude (Kap. 5) wurden nicht nur funktional, sondern symbolisch aufgeladen. Architektur war Darstellung von Macht, Gartenordnung ein Abbild politischer Rationalität. Raum wurde zu einem Medium der Kommunikation von Rang und Kontrolle.
Hinzu tritt die bewusste Inszenierung von Familie und Gedächtnis (Kap. 6). Christoph Daniel verstand sich als Erbe und Stifter zugleich: Er regelte die Nachfolge, schuf genealogische Kontinuität, verankerte den Besitz in einem symbolischen System aus Ritualen, Schrift und Erinnerung. Seine Nachkommen sollten nicht nur wirtschaftlich profitieren, sondern in eine Erzählung eingebunden sein.
Schließlich war seine Herrschaftspraxis transregional (Kap. 7). Die sardische Militärlaufbahn, Besitz außerhalb Angerns und ein europaweites Netzwerk von Beziehungen zeigen, wie sehr der lokale Herr Christoph Daniel zugleich ein Akteur der internationalen Adelsgesellschaft war. Seine Fähigkeit, das Gut aus der Ferne zu steuern, macht deutlich, dass Territorialität im 18. Jahrhundert nicht an physische Präsenz gebunden war, sondern an Organisation, Kommunikation und Vertrauen.
Insgesamt offenbart das Gutsarchiv Angern eine Form frühneuzeitlicher Adelskultur, die Herrschaft als ein komplexes Zusammenspiel von Macht, Ordnung, Gedächtnis und Bewegung verstand. Christoph Daniel von der Schulenburg war kein traditioneller Patriarch im alten Stil, aber auch kein aufgeklärter Reformer im modernen Sinne – sondern ein Vertreter einer Übergangszeit, in der Rationalität, Kontrolle und symbolische Repräsentation sich in einem neuen Adelsverständnis verbanden.
Die archivalische Dichte seines Wirkens macht deutlich: Das Gut war kein statischer Besitzraum, sondern ein dynamisches Ordnungsprojekt, in dem sich soziale, rechtliche, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklungen des 18. Jahrhunderts spiegeln – und das bis heute als Quelle historischen Verstehens Bestand hat.
Erwerb und Konsolidierung der Gutsbesitzungen - Die Rückführung eines zersplitterten Erbes
Ein zentrales Anliegen Christoph Daniel von der Schulenburgs war die Vereinigung der zuvor geteilten Linienbesitze in Angern. Die Dokumente H 13, Nr. 10 und Nr. 490 zeigen ihn in aktiver Rolle bei Lehnserneuerungen und Besitzsicherungen, darunter die Mitbelehnung der Güter Hörsicht und Bülitz (1735) sowie die Lehnsübernahme von Burg- und Kirchscheidungen (1723–1734). Sein strategisches Ziel: die Festigung eines geschlossenen Majorats zur dauerhaften Sicherung des Familienbesitzes.
Als Christoph Daniel von der Schulenburg in den 1730er Jahren aus dem sardischen Militärdienst nach Deutschland zurückkehrte, fand er die einst einheitlichen Besitzungen der Familie in Angern zersplittert vor. Seit der Belehnung durch das Erzstift Magdeburg im Jahr 1448 hatten sich die drei Hauptzweige der „weißen Linie“ der Familie je ein Drittel von Angern geteilt – mit jeweils eigenen Wohnsitzen, wirtschaftlichen Einheiten und Erbfolgeregelungen. Diese Teilung war nicht nur organisatorisch aufwendig, sondern stand auch einer effizienten und zukunftsfesten Gutsführung entgegen. Christoph Daniel erkannte dieses strukturelle Defizit früh und begann gezielt, die verstreuten Familienanteile zurückzukaufen. Zwischen 1734 und 1738 erwarb er nacheinander:
- das Rittergut Angern selbst (H 13, Nr. 25),
- Angern-Vergunst (H 13, Nr. 26),
- und weitere Rechte und Flächen aus Vetternhand.
Diese Maßnahmen bedeuteten eine gezielte Wiederherstellung eines geschlossenen Gutskomplexes, die sowohl finanziell als auch familiär-politisch anspruchsvoll war. Die Kaufverträge belegen, dass Christoph Daniel sich nicht auf Erbansprüche oder väterliches Vorrecht stützte, sondern handfeste, juristisch abgesicherte Eigentumstitel erwarb – ein Zeichen für seinen planvollen, rechtsstaatlich gestützten Herrschaftsanspruch.
Mit der Einrichtung eines Fideikommisses im Jahr 1762 vollendete Christoph Daniel die Konsolidierung. Er schuf damit ein unauflösliches Majorat, das die Gutsanlage für nachfolgende Generationen sichern und vor weiterer Zersplitterung bewahren sollte. In einer Epoche, in der viele adlige Familien durch Erbteilungen in die wirtschaftliche Schwäche glitten, setzte er damit auf langfristige Kontinuität.
Die wirtschaftliche Ertragskraft, bauliche Modernisierung und juristische Sicherung des Besitzes bildeten die drei Säulen, auf denen Christoph Daniel seine Herrschaft errichtete. Seine Erwerbspolitik war dabei mehr als bloße Familientradition: Sie war ein gezielter Schritt zur Wiederherstellung von Ordnung, Effizienz und standesgemäßer Autorität.
Infrastruktur und Baupolitik - Macht durch Stein und Ordnung
Ein besonders illustrativer Bestand sind die Bauunterlagen Nr. 410–413, die in den Jahren 1735–1739 den Ausbau des Schlosses Angern dokumentieren. Neben Baurechnungen finden sich Schenkungen des preußischen Königs Friedrich Wilhelm I., was auf eine enge Verbindung zum königlichen Hof hindeutet. Schulenburg verstand sich offenbar nicht nur als Militär, sondern auch als repräsentativer Bauherr im Sinne des aufgeklärten Absolutismus.
Christoph Daniel von der Schulenburg verstand es meisterhaft, architektonische Maßnahmen mit symbolischer und ökonomischer Macht zu verbinden. In den 1730er Jahren initiierte er unter Einsatz erheblicher Mittel eine umfassende bauliche Neuordnung des Guts Angern. Dieses ambitionierte Bauprogramm lässt sich sowohl als Ausdruck adliger Repräsentation als auch als gezielte Verwaltungserleichterung deuten. Die Bauakten im Bestand H 13 (insbesondere Nr. 409–413) belegen:
- die grundlegende Erneuerung des Herrenhauses,
- die Errichtung wirtschaftlicher Nebengebäude,
- sowie die gezielte Verlegung und Befestigung von Wegen, Brücken und Ökonomiehöfen.
Zentraler Höhepunkt war der barocke Umbau des Schlosses zwischen 1735 und 1739. Dieser wurde nicht nur durch eigene Mittel, sondern auch durch direkte Unterstützung Friedrich Wilhelms I. von Preußen möglich, der Holz zum Wiederaufbau stiftete (H 13, Nr. 411). Die Korrespondenz zwischen dem General in Turin und seinem Syndikus in Angern (H 13, Nr. 412) zeigt, wie eng die Planung mit der militärischen Disziplin und dem Anspruch auf Dauerhaftigkeit verknüpft war. Das Bauprogramm verfolgte jedoch nicht nur ästhetische Zwecke. Vielmehr diente es der administrativen Rationalisierung des Gutsbetriebs:
- Trennung von Wohn- und Wirtschaftsbereich,
- standardisierte Lager- und Stalleinrichtungen,
- zentrale Kontrollachsen zur Überwachung der Arbeit.
Gleichzeitig spiegelte sich in der Gestaltung des Schlosses ein repräsentativer Selbstanspruch: durch reich stuckierte Säle, gemalte Surporten, exotische Tapeten und aufwendig möblierte Appartements. Christoph Daniel baute sich ein steinernes Monument seines Herrschaftsverständnisses: diszipliniert, kontrollierend und standesbewusst. Mit seinem Bauhandeln übernahm er nicht nur die Rolle des Modernisierers, sondern auch die des Bauherrn im Dienste einer gutsherrlichen Ordnung, in der Architektur, Verwaltung und symbolische Macht eng verflochten waren.
Inventar und Administration des Schlosses - Ordnung als Ausdruck von Kontrolle
Ein zentrales Mittel zur Herrschaftsausübung Christoph Daniel von der Schulenburgs war die präzise Erfassung und Verwaltung seines Besitzes – besonders im Zentrum seiner Macht: dem Schloss Angern. Dieses wurde in den 1730er Jahren unter seiner Regie grundlegend im barocken Stil erneuert. Doch über die Repräsentation hinaus spielte die administrative Durchdringung des Wohn- und Herrschaftsraums eine zentrale Rolle.
Der bedeutendste Nachweis davon ist das Generalinventar von 1752 (H 13, Nr. 76), das auf seine ausdrückliche Anweisung hin erstellt wurde. Es dokumentiert nicht nur sämtliche Möbel, Tapeten, Gemälde, Bettstellen und Vorhänge in akribischer Genauigkeit – es verschafft auch Einblick in die räumliche Organisation und soziale Nutzung der Schlossräume. Neben herrschaftlichen Suiten mit chinesischen Surporten, Brokat-Tapeten und venezianischen Stillleben sind auch funktionale Räume wie die Gerichtsstube oder das Speisezimmer detailliert beschrieben.
Der Erfassungswille beschränkte sich nicht auf das Mobiliar: Auch das gesamte Ökonomie-Inventar – Vieh, Gerät, Porzellan, Silberservice – wurde katalogisiert. Damit sicherte Christoph Daniel nicht nur den materiellen Wert des Besitzes, sondern schuf eine Verwaltungsgrundlage, auf deren Basis Kontrolle, Verpachtung und Vererbung geregelt werden konnten. Ergänzt wird diese rationale Inventarpolitik durch die Einrichtung regelmäßiger Rechnungsführung, darunter:
- Ein- und Ausgabenbücher für das Gut (H 13, Nr. 347 ff.)
- Gartenbücher über Einnahmen und Ausgaben des Schlossgartens (H 13, Nr. 354–356)
- Quittungsbelege über Leistungen von Handwerkern, Lieferanten und Bediensteten (H 13, Nr. 351–353)
Diese dokumentarische Dichte offenbart eine Herrschaftsform, die sich nicht allein auf adliges Standesbewusstsein gründete, sondern auf strenger Kontrolle, registrierter Ordnung und schriftlich gesicherter Autorität. Schloss Angern war nicht nur Repräsentationsort, sondern zugleich ein logistisches Zentrum und Symbol gutsherrlicher Disziplin. Diese Bestandsaufnahme dokumentiert nicht nur den Reichtum des Hauses, sondern auch eine frühmoderne Ordnungspraxis, wie sie im Hochadel jener Zeit zunehmend üblich war【H 13, Nr. 73–76】.
Spätzeit, Tod und Erbregelungen
Besondere Beachtung verdienen die Akten zum Testament und Tod Christoph Daniels. Die Stücke H 13, Nr. 464–468 umfassen seine letzten persönlichen Verfügungen (1762–1763), darunter das Originaltestament vom 12. August 1763 (Nr. 466), die Obsignation (Nr. 465) und Nachlassinventare. Interessant ist der anschließende Erbstreit zwischen Heinrich Werner Gottlieb und Alexander Friedrich Christoph von der Schulenburg, dokumentiert in den Nrn. 467–468, der Rückschlüsse auf die innerfamiliäre Machtbalance zulässt.
Rechtliche und wirtschaftliche Konsolidierung – Strategien der Herrschaftssicherung
Christoph Daniel von der Schulenburg nutzte nicht nur seine militärischen Verdienste, sondern vor allem juristisch-administrative Mittel, um seinen Herrschaftsanspruch in Angern dauerhaft abzusichern. Dabei verfolgte er eine klare Strategie: die Wiederherstellung, juristische Absicherung und wirtschaftliche Optimierung des zersplitterten Familienbesitzes. Den entscheidenden Schritt bildete der Erwerb der Güter Angern und Angern-Vergunst zwischen 1734 und 1738, wodurch er die zuvor geteilten Erbteile der drei Hauptzweige der Schulenburgischen Linie unter seiner Hand vereinte (vgl. H 13, Nr. 25–26). Damit war der Weg frei für eine zentralisierte Verwaltung und ein geschlossenes Majoratsgut. Diese neue Einheit ließ er 1762 in ein Fideikommiss überführen – eine erbfolgebindende Stiftung, die die Unteilbarkeit des Besitzes garantierte und ihn damit dem Zugriff freier Vererbung entzog. Diese rechtliche Konstruktion diente nicht nur der Familienehre, sondern vor allem der Sicherung von Status und wirtschaftlicher Kontinuität über Generationen hinweg (vgl. H 13, Nr. 458).
Parallel zur rechtlichen Absicherung betrieb Christoph Daniel eine präzise wirtschaftliche Erfassung seines Besitzes:
- Generalinventare (1732, 1738, 1752) hielten Viehbestände, Gebäude, Ackerflächen und Gerätschaften fest (z. B. H 13, Nr. 73–76).
- Zahlreiche Pachtverträge und Abgabenverzeichnisse dokumentieren die fiskalische Effizienz seiner Gutsverwaltung.
- Monatsextrakte und Naturalabrechnungen ab den 1760er Jahren zeigen die systematische Kontrolle über Erträge und Ausgaben.
Diese Maßnahmen machten das Gut Angern nicht nur wirtschaftlich tragfähig, sondern auch rechtlich unangreifbar – ein Ziel, das Christoph Daniel mit Akribie und juristischer Stringenz verfolgte. Die Kombination aus Besitzsicherung, fiskalischer Ertragssteigerung und erbfolgerechtlicher Bindung zeigt ihn als einen Adligen neuen Typs: rational, durchsetzungsstark, langfristig planend.
Wirtschaftliche Maßnahmen und Landpolitik – Ordnung, Ertrag und Kontrolle
Christoph Daniel war auch als Ökonom aktiv. Die Signaturen Nr. 495–496 belegen den Erwerb und die Verpachtung des Gutes Krüssau (1755–1761). In einer Zeit, in der viele Adelige verschuldet waren, zeigt Schulenburg damit unternehmerisches Geschick und strategische Erweiterung des Besitzes.
Christoph Daniel von der Schulenburg war nicht nur ein militärischer und juristischer Stratege, sondern auch ein wirtschaftlich denkender Gutsherr. Die Konsolidierung des Gutsbesitzes war für ihn kein Selbstzweck – sie diente der systematischen Ertragssteigerung, Effizienz und sozialen Kontrolle. Seine Land- und Agrarpolitik war darauf ausgerichtet, Feudalstrukturen wirtschaftlich zu stabilisieren, ohne die gutsherrliche Autorität zu gefährden.
Effiziente Ertragsverwaltung: Ein zentrales Mittel war die Einführung und konsequente Durchführung von Monatsextrakten über Einnahmen, Ausgaben, Viehbestände und Getreidelager (H 13, Nr. 360–390). Diese Serien von Wirtschaftsdaten für die Rittergüter Angern, Angern-Vergunst, Wenddorf und Bülitz belegen, dass Christoph Daniel ein fortlaufendes Controlling-System etablieren ließ, das nicht nur Ausgaben rechtfertigte, sondern Planungen für Saat, Viehzucht und Personal ermöglichte.
Reduktion feudaler Unsicherheiten: Gleichzeitig leitete er Maßnahmen ein, die den Übergang von Naturalabgaben zu monetären Leistungen vorbereiteten. Ab 1760 finden sich im Archiv Streitfälle und Verträge zur Umwandlung von Spanndiensten in Dienstgeld (z. B. H 13, Nr. 266). Diese Ablösungspolitik zielte auf Berechenbarkeit und kalkulierbare Renten, ohne die soziale Kontrolle der Untertanen preiszugeben.
Kontrolle über Untertanen und Gemeinheiten: Ein erheblicher Teil der Wirtschaftspolitik war der Durchsetzung gutsherrlicher Landrechte gewidmet. In mehreren Akten (H 13, Nr. 275–283) klagte von der Schulenburg gegen Untertanen, die ihre Dienste verweigerten oder gegen Ablösungsforderungen opponierten. Besonders bemerkenswert ist seine Rolle als Initiator zahlreicher Prozesse zur Gemeinheitsteilung (Separation), die darauf abzielten, Allmende- und Weiderechte der Gemeinden in Privateigentum zu überführen – meist zu seinen Gunsten (z. B. H 13, Nr. 314–316).
Agrarpolitik und Nachhaltigkeit: Auch Fragen der Bodenmelioration, Forstwirtschaft und Viehhaltung wurden dokumentiert. Drainageprojekte an Gräben und Mühlenläufen (H 13, Nr. 397–399), Schäferrechnungen und Holzverkäufe (Nr. 400–407) zeigen ein Bewusstsein für Ressourcenerhalt und nachhaltige Nutzung. Dennoch standen diese Maßnahmen stets unter dem Primat der wirtschaftlichen Rentabilität und Herrschaftssicherung.
Christoph Daniels Wirtschaftspolitik war damit kein bloß technisches Verwaltungshandeln, sondern Teil einer umfassenden Herrschaftsstrategie, die ökonomische Planung, rechtliche Absicherung und soziale Kontrolle zu einem einheitlichen Machtinstrument verband.
Historische Einordnung: Ablösungspolitik im Übergang zur Gutsherrschaft neuer Prägung
Die im Gutsarchiv Angern dokumentierte Maßnahme Christoph Daniel von der Schulenburgs, ab den 1760er Jahren Spanndienste in Geldzahlungen umzuwandeln, steht exemplarisch für einen strukturprägenden Wandel in der spätfeudalen Gutsherrschaft Mitteldeutschlands. Diese Ablösungspolitik – wie sie in H 13, Nr. 266 dokumentiert ist – war Teil eines großräumigen Trends zur Monetarisierung vormoderner Abhängigkeitsverhältnisse. Nach wie vor herrschte im 18. Jahrhundert die sogenannte „Gutsherrschaft mit untertänigen Bauern“ vor, die auf persönlichen Dienst- und Abgabeverpflichtungen beruhte. Doch gleichzeitig wuchs in vielen Adelskreisen das Bewusstsein, dass Natural- und Frondienste zunehmend ineffizient, konfliktträchtig und schwer kontrollierbar waren – besonders angesichts steigender Nachfrage nach Marktintegration und Geldrenten. Christoph Daniels Ablösungsverträge zeigen einen typisch preußisch-barocken Pragmatismus: Die Untertanen wurden zwar aus traditionellen Leistungen „entlassen“, jedoch nur gegen genau kalkulierte Geldleistungen, deren Höhe, Modalitäten und Eintrag ins Hypothekenbuch vertraglich geregelt wurden. Dies ermöglichte:
- eine bessere Planbarkeit der Einnahmen,
- eine geringere Abhängigkeit vom Arbeitsverhalten der Bauern,
- und dennoch die Aufrechterhaltung gutsherrlicher Kontrolle, da die Verpflichtungen nur formal geändert, aber nicht aufgehoben wurden.
Diese Entwicklung war zugleich ein Vorbote der Agrarreformen, wie sie später (ab 1807) in Preußen durch Hardenberg und Stein eingeführt wurden – jedoch unter staatlicher Anleitung und mit grundsätzlichem Bruch des Lehnswesens. Christoph Daniel agierte dagegen noch im rechtlichen Rahmen des Ancien Régime, zeigte aber bereits ein deutliches Gespür für die ökonomischen Erfordernisse einer sich wandelnden Welt.
Gesundheit und Seuchenbekämpfung - Gutsherrschaft im Zeichen von Kontrolle und Fürsorge
Auch in seuchenpolitischen Fragen agierte er als lokaler Autoritätsträger. Die Edikte Nr. 393–394 betreffen Maßnahmen zur Bekämpfung einer Viehseuche im Raum Angern (1746–1761), was seine Rolle als Gutsherr in landwirtschaftlichen Krisenzeiten unterstreicht.
Im 18. Jahrhundert war das Gesundheitswesen im ländlichen Raum weitgehend Sache der lokalen Herrschaft – und damit Teil der patrimonialen Verantwortung des Adels. Christoph Daniel von der Schulenburg erfüllte diese Aufgabe mit der ihm eigenen Mischung aus praktischem Ordnungssinn und autoritärer Steuerung. Die Dokumente des Gutsarchivs Angern belegen, dass Gesundheitspolitik nicht nur als Schutzmaßnahme, sondern auch als Machtinstrument verstanden und umgesetzt wurde. So enthalten die Akten (H 13, Nr. 164–167) zahlreiche Hinweise auf:
- die Verwaltung von Medizinalsachen,
- die Anstellung und Kontrolle von Hebammen,
- sowie die Versorgung von Geisteskranken und Bedürftigen.
Im Jahr 1746 etwa brach auf dem Gut eine Hornviehseuche aus, die strenge Maßnahmen nach sich zog (H 13, Nr. 393–394). Edikte zur Tierseuchenbekämpfung wurden nicht nur umgesetzt, sondern mit lokalen Zusatzregelungen ergänzt – ein Hinweis auf eigenständige Entscheidungsbefugnisse des Gutsherrn in medizinischen Notlagen. Diese Seuchenpolitik lässt sich als Ausdruck eines frühmodernen Verantwortungsbewusstseins deuten, aber auch als Maßnahme zur Sicherung der ökonomischen Grundlage des Gutes: denn gesunde Herden bedeuteten stabile Einnahmen.
Auch im Bereich der Geburtshilfe ist von einer gezielten Regulierung die Rede. Christoph Daniel ließ Hebammen offiziell verpflichten (H 13, Nr. 165–166), ein Vorgang, der neben medizinischer Vorsorge auch der sozialen Disziplinierung diente. Die Hebamme war nicht nur Geburtshelferin, sondern auch Kontrollinstanz für eheliche Verhältnisse, Moral und Meldepflichten – ein verlängerter Arm des Gutsherrn im intimsten Bereich des dörflichen Lebens. Schließlich zeigen einzelne Akten zur Versorgung von Geisteskranken (z. B. Caspar Erhardt, H 13, Nr. 167), dass auch soziale Randgruppen nicht aus dem Blick gerieten – allerdings stets unter dem Vorzeichen administrativer Kontrolle und wirtschaftlicher Belastungsabwägung.
Diese Fürsorgepolitik entsprach dem Ideal des „guten Herrn“ im Zeitalter des aufgeklärten Absolutismus – sie war geprägt von einem paternalistischen Selbstverständnis, das Schutz und Unterordnung miteinander verband. Gesundheit war nicht primär ein individuelles Gut, sondern ein politisches Ordnungsziel in der Herrschaftsstruktur des Gutes.
Normsetzung und soziale Ordnung: Die Angernsche Dorfordnung
Ein bislang wenig beachtetes, aber in seinem Umfang und seiner Detailtiefe außergewöhnliches Dokument ist die von Christoph Daniel erlassene Dorfordnung für Angern, Wenddorf und Bülitz, überliefert in Rep. H Angern Nr. 139. Diese umfassende Regelung des Dorflebens geht weit über die Vorgaben der Magdeburgischen Polizeiordnung hinaus, auf die sie sich ausdrücklich beruft. In über 100 Paragraphen kodifiziert sie moralisches Verhalten, religiöse Praxis, Heirats- und Schulpflicht, wirtschaftliche Abläufe, Flurordnung und polizeiliche Maßnahmen – von der Pflicht zur regelmäßigen Predigtteilnahme bis zum Verbot des Spinnensgehens in Nachbarhäusern. Die Dorfordnung spiegelt das frühabsolutistische Herrschaftsverständnis ihres Verfassers: Als patrimonialer Gerichtsherr war Christoph Daniel nicht gesetzlich zur Abfassung einer solchen Ordnung verpflichtet, doch entsprach sie seinem autoritären wie fürsorglichen Selbstverständnis als „Regimentsherr“ im ländlichen Raum. Die Ordnung fungierte zugleich als Mittel zur Festigung der lokalen Herrschaft, zur sozialen Disziplinierung und zur Sicherung der ökonomischen Produktivität auf dem Gut. Ihre Ausgestaltung macht deutlich, wie sich landesherrliche Normen im lokalen Kontext konkretisierten und mit der Lebenswelt der Untertanen verwoben wurden.
Fazit
Die archivalische Überlieferung zu Christoph Daniel von der Schulenburg zeigt einen vielseitigen Akteur des 18. Jahrhunderts: einen strategischen Familienpolitiker, einen gebildeten Administrator, einen repräsentativen Bauherrn und wirtschaftlich denkenden Gutsbesitzer. Der Bestand im Gutsarchiv Angern liefert damit einen dichten Quellenkörper, der die Adelskultur in der Übergangszeit vom Spätbarock zur Aufklärung exemplarisch veranschaulicht.
Quellenangaben (nach Signatur aus Findbuch H 13, Gutsarchiv Angern):
H 13, Nr. 10, 73–76, 410–413, 464–468, 490, 495–496, 501, 393–394 und andere