Patrimonialgerichtsbarkeit im frühneuzeitlichen Brandenburg-Preußen: Struktur, Praxis und Herrschaftsanspruch. Die Patrimonialgerichtsbarkeit war ein zentrales Element adliger Herrschaft im frühneuzeitlichen Heiligen Römischen Reich und überdauerte in manchen Regionen bis in das 19. Jahrhundert. Insbesondere im Kurfürstentum Brandenburg und späteren Königreich Preußen stellte sie ein wesentliches Bindeglied zwischen Grundherrschaft, ländlicher Verwaltung und Rechtsprechung dar. Anhand des umfangreichen Quellenbestandes im Gutsarchiv Angern (Bestand H 13), insbesondere der Dorfordnung (Nr. 139), der Gerichtsprotokolle (Nr. 125–126), der Scharfrichterverträge (Nr. 122–124) und der Hut- und Triftsachen (Nr. 155–158), lässt sich die konkrete Ausgestaltung dieser Herrschaftsform exemplarisch rekonstruieren.
Grundlagen der Patrimonialgerichtsbarkeit
Die patrimoniale Gerichtsbarkeit basierte auf dem Grundsatz, dass adelige Grundherren – als Lehnsnehmer oder Eigentümer von Rittergütern – auch das Recht innehatten, in ihrem Territorium niedere (und mitunter auch höhere) Gerichtsbarkeit auszuüben. Dieses Recht war eng mit dem Besitz von Allodial- oder Lehnsrechten verbunden und umfasste sowohl Zivil- als auch Strafsachen. Die konkrete Ausübung erfolgte durch vom Gutsherrn eingesetzte Gerichtshalter, während das Recht zur Bestallung von Schöffen, die Einsetzung von Kirchvätern und die Kontrolle des Predigers die umfassende Verfügungsgewalt über das soziale, wirtschaftliche und religiöse Leben der Untertanen sichtbar machte【vgl. Conrad, 2007】.
Der Dorf-Articul von Angern – Normierung im lokalen Rahmen
Ein besonders aufschlussreiches Beispiel für die normative Selbstgesetzgebung eines patrimonialen Gerichtsherrn ist der sogenannte Dorf-Articul von Christoph Daniel von der Schulenburg (H 13, Nr. 139), der vermutlich um die Mitte des 18. Jahrhunderts erlassen wurde. Diese Ordnung umfasst über 100 Paragraphen und regelt detailliert das Alltagsleben in den Dörfern Angern, Wenddorf und Bülitz. Sie enthält Vorschriften zur Frömmigkeit, Schulpflicht, Eheordnung, Grenznutzung, Strafandrohungen sowie zum Wirtschaftsleben und verweist explizit auf die Magdeburgische Polizeiordnung als normativen Rahmen. Die Formulierung „nach der gerechten Willensmeinung Sr. Kgl. Maj. in Preußen…“ signalisiert, dass der Dorf-Articul als lokale Konkretisierung landesherrlicher Ordnungsvorgaben zu verstehen ist【vgl. Magdeburgische Polizeiordnung, P. III. N. 150】.
Gerichtsstube und Repositorium – Räume der Herrschaftsausübung
Die Umsetzung dieser Normen erfolgte durch die im Schloss Angern befindliche Gerichtsstube, die laut Inventar von 1752 (Rep. H 76) mit Tisch, Aktenmöbel (Repositorium) und Schlafstatt für den Gerichtshalter ausgestattet war. Diese Einrichtung fungierte als zentrale Schaltstelle zwischen Norm und Praxis. Hier wurden Gerichtsprotokolle geführt (H 13, Nr. 125–126), Kontrakte beurkundet, Nachlässe geregelt (Nr. 132–138) und Urteile gefällt. Die Existenz eines Repositoriums verweist auf den frühen Aufbau eines geordneten Archivwesens, das die Schriftlichkeit und Kontinuität patrimonialer Gerichtsherrschaft sicherte【vgl. Stolleis, 2002】.
Gerichtspraxis: Strafvollzug und Scharfrichterei
In Fällen schwerer Vergehen kam in Angern die Scharfrichterei als zentrales Exekutivinstrument zum Einsatz. Die einschlägigen Unterlagen zur Scharfrichterei (H 13, Nr. 122–124) belegen eindrücklich, dass der Schulenburgische Gerichtsbezirk über eigenes, vertraglich gebundenes Vollzugspersonal verfügte. Im Zusammenhang mit den überlieferten Strafgerichtsakten (H 13, Nr. 127–129) zeigt sich, dass auf dem Gut nicht nur Todes- und Körperstrafen verhängt, sondern auch tatsächlich vollstreckt wurden – ein deutliches Zeichen für die fortbestehende Ausübung des mittelalterlichen Blutbanns bis tief in die Frühe Neuzeit. Gleichzeitig lassen die Quellen eine allmähliche Verschiebung hin zu einer rationalisierten Strafpraxis erkennen, in der Geldbußen und Ersatzleistungen zunehmend an die Stelle körperlicher Züchtigung traten.
Die Bestellung von Scharfrichtern, Abdeckern und die Festsetzung ihrer Diensteinkünfte zeigen, wie tiefgreifend das Strafrecht in die Dorfgesellschaft hineinreichte. Der Dorf-Articul sah bei Gotteslästerung, Ehebruch oder Viehdiebstahl drastische Strafen vor – bis hin zur Todesstrafe, die im Prozess gegen Hans Wierstorp wegen Viehdiebstahls (H 13, Nr. 127) verhängt wurde. Damit wird deutlich, dass das patrimoniale Gerichtswesen nicht nur normierte, sondern mit tatsächlicher Gewaltandrohung und -ausübung verbunden war【vgl. Groß, 2011】.Die im Gutsarchiv Angern überlieferten Dokumente zur Patrimonialgerichtsbarkeit und der Scharfrichterei (H 13, Nr. 122–124) bieten einen aufschlussreichen Einblick in die strafrechtliche Infrastruktur eines patrimonialen Gerichtsbezirks im 18. und frühen 19. Jahrhundert. Die Scharfrichterei zu Angern war – wie viele vergleichbare Einrichtungen im ländlichen Preußen – nicht nur für die Vollstreckung von Todesurteilen zuständig, sondern übernahm auch Funktionen in der öffentlichen Ordnungspflege, insbesondere als Abdecker (Tierkörperverwertung), was ihren doppelten Status zwischen notwendiger Obrigkeit und sozialer Randständigkeit kennzeichnet. Die Akte H 13, Nr. 122 (1617–1770) dokumentiert vertragliche Regelungen über die Bestellung und Bezahlung des Scharfrichters, während H 13, Nr. 123 konkret die Bestellung eines neuen Scharfrichters im Jahr 1738 wohl durch Christoph Daniel v.d. Schulenburg bezeugt – ein Hinweis auf die fortlaufende Erneuerung und Bestätigung dieser Dienstverhältnisse durch den Gutsherrn selbst. Besonders aufschlussreich ist H 13, Nr. 124 aus dem Jahr 1808, das unter dem Eindruck der neu eingeführten Gewerbefreiheit die Neufestsetzung des Zinses für den Scharfrichter und Abdecker Daniel Katzenellenbogen enthält. Diese Quelle zeigt, dass auch in einer Zeit tiefgreifender rechtlicher Umbrüche – etwa durch die preußischen Reformen – das Gut Angern an traditionellen Strukturen festhielt, zugleich aber Anpassungen an neue Rahmenbedingungen vornahm. Die Benennung Katzenellenbogens, eines Trägers eines typischen Namens für sogenannte „unehrliche“ Berufe, verweist zudem auf die soziale Ausgrenzung dieser Berufsgruppe innerhalb der Dorfgesellschaft, deren Dienste jedoch unabdingbar waren. Die Existenz dieser Akten unterstreicht, dass der Schulenburgische Gerichtsherr nicht nur normativ (etwa im Dorf-Articul), sondern auch personell-institutionell über ein vollständig ausgestattetes Justizsystem verfügte – mit eigener Gerichtsstube, Gerichtshalter und Hinrichtungsgewalt. Sie belegen zugleich die Verzahnung von Strafrecht, ökonomischer Praxis und obrigkeitlicher Fürsorge im Rahmen der Patrimonialgerichtsbarkeit.
Strafgerichtsbarkeit: Der Kriminalfall um Hans Bierstorpff, dokumentiert in der Inquisitionsakte von 1688 (Gutsarchiv Angern, Signatur H 13, Nr. 1228: Acta Inquisitionalia contra Hans Bierstorpff, 1688), lässt sich als frühes Beispiel jener herrschaftlichen Strafgerichtsbarkeit deuten, die später in der speziell dafür eingerichteten Gerichtsstube des Schlosses Angern institutionell verankert wurde. Während der Fall Bierstorpff noch im Rahmen einer mobilen oder improvisierten Verhandlungsstruktur – etwa im Saal oder Amtszimmer des Gutsherren – geführt worden sein dürfte, markiert die später überlieferte Gerichtsstube im Ostflügel einen baulich und funktional gefassten Ort für die Ausübung lokaler Justiz. Die Kontinuität zwischen dem Fall Bierstorpff und der späteren Gerichtsstube zeigt, wie sich aus singulären Strafverfahren langfristige institutionelle Strukturen adliger Gerichtsausübung herausbildeten.
Verwaltungsgerichtsbarkeit und Gemeindekonflikte
Ein weiterer Aufgabenbereich patrimonialer Gerichtsbarkeit bestand in der Regelung von Gemeindekonflikten, etwa über Grenzverläufe, Gemeinweiden oder Pachtverhältnisse. Der Bestand H 13 enthält zahlreiche Klagen der Gemeinden Angern und Wenddorf über Triftrechte (Nr. 155–158), kommunale Beschwerden (Nr. 140–149) und Steuerfragen. Diese Vorgänge dokumentieren, wie der Gutsherr nicht nur oberster Richter, sondern auch Mediator und Machtfaktor in Gemeindeangelegenheiten war – eine Rolle, die tief in das Alltagsleben hineinreichte.
Auflösung der Patrimonialgerichtsbarkeit und Übergang zur staatlichen Justiz
Die Patrimonialgerichtsbarkeit als Ausdruck adliger Hoheitsrechte wurde in Preußen zu Beginn des 19. Jahrhunderts schrittweise aufgehoben. Hintergrund war die Reformpolitik der preußischen Regierung nach 1806, die unter anderem die Trennung von Justiz und Verwaltung sowie eine einheitliche, vom Staat kontrollierte Gerichtsbarkeit zum Ziel hatte. In der grundlegenden „Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Patrimonialgerichtsbarkeit“ vom 17. Juli 1820 heißt es ausdrücklich:
„Da die Patrimonialgerichtsbarkeit keine dem Staate fremde, sondern eine ihm einverleibte ist, so steht es der königlichen Regierung zu, sie ihrer ursprünglichen Bestimmung gemäß einzurichten, zu beaufsichtigen und, wo sie zweckwidrig verwaltet wird, aufzuheben“ (Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, Nr. 33, 1820, S. 293).
Damit wurde klargestellt, dass das Recht auf Gerichtsbarkeit nicht länger ein durch Grundbesitz legitimiertes Herrschaftsprivileg, sondern eine aus dem Staat abgeleitete Funktion sei. Patrimonialgerichte konnten fortbestehen, mussten sich jedoch einer staatlichen Inspektion unterziehen und qualifiziertes Personal nachweisen. Die meisten adligen Gerichtsherren – insbesondere dort, wo der Ertrag gering oder die rechtliche Verwaltung zu aufwändig war – gaben ihre Gerichtsbarkeit gegen eine staatliche Ablösesumme auf.
Im Fall Angern zeigen die letzten Einträge im Gutsarchiv (z. B. H 13, Nr. 138) noch bis 1821 Klagen und Urteile aus Zivilsachen, etwa im Zusammenhang mit Schuldforderungen, Pacht- und Erbschaftsstreitigkeiten. Danach bricht die Serie ab – ein klarer Hinweis auf die Einziehung der Gerichtshoheit durch den Staat. Auch die bislang genutzte Gerichtsstube im Schloss Angern verliert damit ihre institutionelle Funktion und wird beim Umbau durch Edo Graf v.d. Schulenburg in ein Personaltrakt umgewandelt. Die Verordnung von 1820 sah in § 29 zudem vor, dass alle gerichtlichen Register, Akten und Siegel dem Land- oder Kreisgericht zu übergeben seien:
„Sämtliche Gerichtsprotokolle, Hypothekenbücher, und gerichtliche Akten sind nach Aufhebung des Patrimonialgerichts versiegelt und dem zuständigen königlichen Gericht zuzustellen“ (ebd., § 29, S. 301).
Viele dieser Dokumente verblieben jedoch – wie im Fall Angern – in den Privatarchiven der Familien, insbesondere wenn es sich um wirtschaftsrelevante oder genealogisch bedeutsame Unterlagen handelte. Heute ist der Bestand H 13 (Gutsarchiv Angern) Teil der Überlieferung und dokumentiert damit nicht nur die Praxis, sondern auch die schrittweise Integration adliger Gerichtsbarkeit in die preußische Staatsorganisation. Mit der Justizreform von 1849, im Zuge der Revolutionen von 1848/49, wurde die Patrimonialgerichtsbarkeit auch formal aufgelöst. Der preußische Landtag verabschiedete ein Gesetz, das den Grundsatz der Einheit der Gerichte und der Trennung von Privatherrschaft und Rechtsprechung festschrieb. Damit endete ein fast halbes Jahrtausend adliger Gerichtsbarkeit in vielen Regionen des Reichs – nicht abrupt, aber unumkehrbar.
Akteure und Abläufe patrimonialer Rechtsprechung im Gutsbereich Angern
Die patrimoniale Gerichtsbarkeit beruhte nicht allein auf der Autorität des adligen Gerichtsherrn, sondern war in ein Gefüge lokaler Ämter und ritueller Praktiken eingebettet. Der Bestand des Gutsarchivs Angern erlaubt es, die soziale Logik dieser Institution anhand konkreter Rollen und Verfahren sichtbar zu machen.
Der Gerichtshalter: Administrator und Exekutor
Im Mittelpunkt des gerichtlichen Alltags stand der vom Gutsherrn eingesetzte Gerichtshalter, der in der Gerichtsstube des Schlosses Angern amtierte. Wie das Inventar von 1752 (Rep. H 76) belegt, verfügte die Gerichtsstube über ein Schreibpult, eine Aktenablage (Repositorium) und eine Schlafstatt – Zeichen dafür, dass der Gerichtshalter dauerhaft oder regelmäßig anwesend war. Seine Aufgabe war es, die Protokolle zu führen, Gerichtstage einzuberufen, Urteile umzusetzen und Geld- oder Gefängnisstrafen zu verhängen. Dabei war er faktisch Bindeglied zwischen dem Gerichtsherrn und der Dorfbevölkerung, sowohl als juristischer Vermittler als auch als ausführende Instanz der Ordnungsmacht【vgl. H 13, Nr. 125–126】.
Der Schulze und die Bauermeister: lokale Kontrollorgane
Eine zentrale Rolle im Dorf spielten der Schulze und die jährlich neu gewählten Bauermeister. Der Dorf-Articul verpflichtet sie zur Überwachung der Feuerstätten, der Zäune, Wege und Wiesen (vgl. § 14 und § 3–4), aber auch zur Anzeige aller Vergehen vor der Gerichtsstube. Sie waren somit nicht nur Repräsentanten der Gemeinde, sondern dienten zugleich als Informanten und Kontrollinstanzen im Dienste der Obrigkeit. Ihre Funktion war vergleichbar mit der eines untergeordneten Polizeiapparats – mit dem Schulze als „gerichtlichem Vorposten“ im Dorfgeschehen.
Die Gerichtsversammlung: Prozessrituale und Sozialdisziplinierung
Die Verfahren fanden regelmäßig auf dem Gut oder in der Gerichtsstube statt. Zu einem Gerichtstag mussten die Parteien persönlich erscheinen – das Nichterscheinen wurde gestuft sanktioniert, wie § 5 im Abschnitt „Von denen Untertanen insgesamt“ des Dorf-Articuls festlegt. Auch Beleidigungen im Gerichtssaal waren ausdrücklich verboten (§ 7). Bei komplizierten Fällen konnten auch „christliche, vernünftige und verschwiegene“ Nachbarn beigezogen werden – eine Art Vorform von Laienjuroren oder Schöffen, wie sie auch in der Magdeburgischen Gerichtsordnung vorgesehen waren. Diese ritualisierte Gerichtsöffentlichkeit erfüllte mehrere Funktionen:
- Rechtssicherung (durch Protokollierung)
- Öffentliche Disziplinierung (durch Strafandrohung und -vollzug)
- Reproduktion der Herrschaftsordnung (durch die Sichtbarkeit der Adelsmacht)
Das Gericht war also nicht nur ein juristisches Forum, sondern ein Ort symbolischer Machtentfaltung, in dem soziale Normen durch körperliche Strafen, Geldbußen oder Ausschluss aus der dörflichen Gemeinschaft (z. B. durch Androhung, „mit solchem Bösewicht keine Freundschaft zu halten“) durchgesetzt wurden.
Schriftlichkeit und Gerichtsarchiv
Der patrimoniale Gerichtsapparat war stark aktenzentriert. Verträge mussten im „Gerichtshandelsbuch“ eingetragen und mit dem Gerichtssiegel versehen sein, um Gültigkeit zu erlangen (§ 1 im Abschnitt „Von Kaufen, Verkaufen und anderen Contracten“). Nicht protokollierte Kaufverträge, Pachtverhältnisse oder Lehnbriefwechsel galten als null und nichtig. Die umfangreiche Überlieferung in H 13 (besonders Nr. 122–138, 155–158) zeigt, dass sich im Laufe des 18. Jahrhunderts ein hoch entwickeltes lokales Schriftarchiv herausgebildet hatte, das sowohl verwaltete als auch historische Rechtsansprüche sicherte.
Fazit
Die Patrimonialgerichtsbarkeit stellt ein komplexes Herrschaftsinstrument des frühneuzeitlichen Adels dar, das normative Ordnung, wirtschaftliche Kontrolle und soziale Disziplinierung in sich vereinte. Am Beispiel von Angern und den Ordnungen unter Christoph Daniel von der Schulenburg zeigt sich die Dichte, mit der adlige Grundherren ihre Macht nicht nur als Militärs oder Grundbesitzer, sondern auch als Richter, Gesetzgeber und Archivare ausgeübt haben. Die archivalische Überlieferung im Bestand H 13 erlaubt es, diese Praxis nicht nur in ihrer Funktion, sondern auch in ihrer symbolischen und materiellen Dimension greifbar zu machen. Die patrimoniale Gerichtsbarkeit im Gutsbezirk Angern erscheint im Lichte der archivischen Überlieferung nicht als starre Herrschaftsinstitution, sondern als dynamisches Gefüge sozialer Kontrolle, Kommunikation und Verwaltung. Ihre Stärke lag in der Verbindung von Schriftkultur, sozialen Netzwerken und ritueller Legitimation. In einer Übergangszeit zwischen barocker Obrigkeitsgewalt und frühaufklärerischer Reformpraxis bildete sie ein funktionales Modell lokaler Rechtsausübung – disziplinierend, verwaltend und legitimatorisch zugleich.
Quellen
- Stolleis, Michael: Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II: Staatsrecht und Verwaltungsrecht (1600–1800), München 2002.
- Conrad, Sebastian: Rechtsräume im Übergang: Gerichtsbarkeit und soziale Ordnung im Preußen des 18. Jahrhunderts, Göttingen 2007.
- Groß, Reiner: Die Justiz in Sachsen. Eine historische Einführung, Dresden 2011.
- Gutsarchiv Angern, Bestand H 13, v.a. Nr. 10, 76, 122–138, 139, 140–158.
- Magdeburgische Polizeiordnung, P. III. N. 150, hrsg. im landesherrlichen Auftrag des Kurfürsten Friedrich Wilhelm, Magdeburg 1683.
- Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, 1820, Nr. 33: „Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Patrimonialgerichtsbarkeit“ vom 17. Juli 1820.