Die wirtschaftliche Dimension der Gutsherrschaft unter Christoph Daniel von der Schulenburg offenbart sich im Gutsarchiv Angern in einzigartiger Tiefe. Kapitel 3 des Bestandes H 13 gewährt detaillierten Einblick in Buchführung, Produktionslogik, Personalverwaltung und Ressourcennutzung eines spätfeudalen Gutsbetriebs. Die wirtschaftliche Organisation des Ritterguts Angern war dabei nicht nur Mittel zur Bestreitung des adeligen Lebensstils, sondern Teil einer umfassenden Strategie zur Sicherung, Modernisierung und Kontrolle der Herrschaft.
Zentral ist die systematische Erfassung und Verwaltung der wirtschaftlichen Prozesse durch eine Vielzahl schriftlicher Quellen. Dazu zählen umfangreiche Inventare (H 13, Nr. 73–76), Monats- und Jahresabrechnungen (H 13, Nr. 360–390), Lohnlisten, Gesindeverzeichnisse und sogenannte Garten- oder Brauhausbücher (H 13, Nr. 351–356). Diese Aufzeichnungen belegen nicht nur eine hohe Verwaltungsdichte, sondern auch ein stark ausgeprägtes Bedürfnis nach Kontrolle, Effizienz und Transparenz – Eigenschaften, die Christoph Daniel als erfahrener Militär auch in der Ökonomie seines Gutes umzusetzen suchte.
Das Generalinventar von 1752 (H 13, Nr. 76) ist ein zentrales Zeugnis dieser Ordnungsliebe. Es verzeichnet akribisch sämtliche beweglichen und unbeweglichen Wirtschaftsgüter, von Vieh und Wagen über Erntevorräte bis hin zu Gerätschaften, Teppichen, Zinn- und Silberservice. Die Detailliertheit der Einträge vermittelt nicht nur ein Bild vom materiellen Reichtum, sondern auch vom geistigen Zugriff auf Besitz: Alles, was inventarisiert war, war auch kontrollierbar.
Besonders hervorzuheben ist die Einrichtung von Monatsextrakten (H 13, Nr. 360–390), die über Jahrzehnte hinweg Einnahmen und Ausgaben des Gutes dokumentieren. Sie zeigen Einnahmen aus Pachten, Naturalien, Verkauf von Holz, Getreide, Vieh und Bier ebenso wie Ausgaben für Personal, Handwerker, Reparaturen und Steuern. Diese Praxis diente nicht allein der Buchführung, sondern war ein Instrument zur Entscheidungsfindung: Sie erlaubte es dem Gutsherrn, Ertragsschwankungen zu analysieren, Prioritäten zu setzen und auf Engpässe zu reagieren – ein früher Ausdruck wirtschaftlicher Rationalität in einem formal noch ständisch geprägten System.
Viehwirtschaft und Schäferei
Die Viehwirtschaft und Schäferei (H 13, Nr. 391–394, 397–399) nahm eine Schlüsselrolle innerhalb der Gesamtökonomie des Gutes ein. Sie war nicht nur Grundlage der Selbstversorgung, sondern auch ein zentrales Produktionssegment mit hoher Ertragsbedeutung. Die Schafhaltung galt als besonders lukrativ – sowohl wegen der Wolle als Handelsware als auch wegen der geringen Futterkosten im Vergleich zur Rinderhaltung. Die Akten dokumentieren detailliert die jährlichen Bestandsaufnahmen der Herden, Zuchtziele, Krankheiten, Lämmerzahlen, und sogar die Verteilung der Tiere auf einzelne Weideflächen.
Die Wirtschaftsführung in diesem Bereich war klar reglementiert: Schäfer waren zu festen Uhrzeiten zum Austrieb verpflichtet, sie hatten Dienstpläne einzuhalten, Kontrollstationen zu passieren und über Verluste oder Geburten regelmäßig Bericht zu erstatten. Fehlverhalten wurde disziplinarisch geahndet. Entsprechende Einträge zeigen Strafen wegen Fahrlässigkeit, Trunkenheit oder unerlaubtem Verkauf von Wolle. In den Quellen wird auch deutlich, wie sehr Christoph Daniel selbst auf diesen Teilbetrieb Einfluss nahm – etwa durch Anweisungen zur Neuanstellung qualifizierter Schäfer oder zur Verbesserung der Stallhygiene.
Auch die Rinderhaltung war bedeutend: Kühe lieferten Milch für die Eigenversorgung, Kälber dienten als Handelsgut, Ochsen als Zugtiere. Die Stallwirtschaft wurde systematisch geführt, mit separaten Einträgen über Futtermittelverbräuche, Stallreparaturen, Geburten, Schlachtungen und Verkäufe. Gleichzeitig wurden tiermedizinische Aspekte stärker berücksichtigt: Impfungen, Behandlungen von Seuchen und Quarantänemaßnahmen sind ebenso dokumentiert wie gezielte Zuchtentscheidungen zur Verbesserung der Ertragsleistung.
Nicht zuletzt spielte die Dungverwertung eine bedeutende Rolle im Wirtschaftskreislauf: Mist aus der Stallwirtschaft wurde gezielt zur Düngung bestimmter Ackerparzellen verwendet, was wiederum Rückwirkungen auf Ernteerträge und Fruchtfolgen hatte. Die Viehwirtschaft war somit kein isolierter Sektor, sondern integraler Bestandteil eines geschlossenen Agrarsystems, das mit hoher Effizienz und planerischer Weitsicht geführt wurde., insbesondere wegen des hohen Bedarfs an Wolle, Milch, Fleisch und Arbeitskraft. Die Akten verzeichnen die Entwicklung der Herdenbestände, Schäferlöhne, Futterwirtschaft und auch Seuchenvorkehrungen. Christoph Daniel agierte hier nicht nur als Eigentümer, sondern als unternehmerischer Planer, der über die Produktivität seiner Ländereien wachte.
Forstwirtschaft
Ein weiterer wirtschaftlicher Bereich war die Forstwirtschaft, dokumentiert durch Verkäufe, Inventare und Nutzungsregelungen (H 13, Nr. 400–407). Die Forsten stellten einen der bedeutendsten Rohstofflieferanten des Gutes dar und waren untrennbar mit Bauwirtschaft, Energieversorgung und Einnahmeerzielung verbunden. Die Akten geben detaillierten Einblick in die Organisation der Holznutzung: Einschlagquoten wurden nach Baumart, Zweck und Bedarf aufgeschlüsselt, etwa für Bauholz, Brennholz, Wagengestelle oder Fassreifen. Besondere Aufmerksamkeit galt der Nutzung durch Dritte – etwa Gemeindeholzentnahme oder unerlaubtes Holzhauen –, was zu regelmäßigen Konflikten mit benachbarten Dorfgemeinschaften führte. Christoph Daniel reagierte mit forstpolizeilichen Verordnungen, Zugangsreglementierungen und der Errichtung von Schlagplänen, die eine nachhaltige Nutzung sichern sollten.
Erwähnenswert ist insbesondere die Verbindung zur Schlossbaupolitik: Der barocke Ausbau des Schlosses in den 1730er Jahren wäre ohne die forstwirtschaftliche Ertragskraft kaum denkbar gewesen. H 13, Nr. 411 dokumentiert die königliche Holzschenkung Friedrich Wilhelms I., die auf Antrag Schulenburgs bewilligt wurde und die zentrale Rolle des Waldes als strategische Ressource unterstreicht. Die Einnahmen aus Holzverkäufen – sowohl an städtische Märkte als auch an lokale Handwerker – bildeten eine stabile Einkommensquelle, die unabhängig von agrarischen Ertragsschwankungen war. Zudem lassen sich Hinweise auf erste Ansätze einer geregelten Aufforstung und Bestandspflege erkennen, die auf ein langfristiges ökonomisches Denken im Sinne einer regenerativen Nutzung hindeuten. Holz war als Bau- und Brennstoff, aber auch als Handelsware von enormer Bedeutung. Die Forstakten geben Auskunft über Einschlagmengen, Verteilung, königliche Holzschenkungen (z. B. für den Schlossbau) und forstliche Reglementierungen, die teils auch gemeindliche Konflikte hervorriefen.
Personalwesen
Auch das Personalwesen wurde exakt geführt und nahm in der Wirtschaftsführung eine zentrale Funktion ein. Die Verwaltung des Gesindes – also der landwirtschaftlichen und hauswirtschaftlichen Arbeitskräfte – war nicht nur ein organisatorischer Vorgang, sondern ein Herrschaftsinstrument. Die Quellen (H 13, Nr. 351–353) enthalten detaillierte Aufstellungen über Dienstboten, Knechte, Mägde, Stallburschen, Schäfergesellen, Tagelöhner und weiteres Personal.
Besonders auffällig ist die Differenzierung nach Tätigkeitsfeldern, Lohnstufen und Jahreszeiten: Knechte für schwere Feldarbeit erhielten andere Bezahlung und Naturalien als Küchenmägde oder Melkerinnen. In vielen Fällen sind die Löhne in Geld und Naturalien aufgeschlüsselt – etwa in Form von Kleidung, Getreideanteilen, Brennholz oder Bier. Diese komplexen Vergütungssysteme lassen sich als Ausdruck eines ständisch geprägten, aber zunehmend rationalisierten Arbeitsregimes deuten.
Die Personalverwaltung umfasste aber nicht nur Lohnfragen. Dienstanweisungen, Beschwerden, Verwarnungen und Strafen sind dokumentiert – etwa für Faulheit, Trunkenheit, Ungehorsam oder sexuelle Kontakte unter Gesindemitgliedern. In besonders schweren Fällen wurden Arbeitsverträge aufgelöst, Tagelöhner verwiesen oder Strafmaßnahmen durch den Gerichtshalter eingeleitet. Auch diese Vorkommnisse wurden schriftlich fixiert, was auf ein ausgeprägtes Bedürfnis nach disziplinarischer Kontrolle und Nachvollziehbarkeit verweist.
Ein weiterer Aspekt war die Rekrutierung und Bindung qualifizierten Personals. Christoph Daniel ließ gezielt Verträge mit erfahrenen Schäfern, Brauern, Schmieden und Zimmerleuten abschließen. Diese Personen erhielten oft Privilegien – etwa Wohnrecht in einem eigenen Gesindehäuschen oder Sonderzuteilungen – und unterstanden häufig direkt dem Amtmann oder dem Gutsherrn selbst.
Zugleich zeigen die Akten eine erste Annäherung an soziale Fürsorge: In einzelnen Fällen sind Vermerke über kranke, verwitwete oder altersschwache Dienstboten erhalten, für die ein eingeschränktes Weiterarbeiten oder das Verbleiben auf dem Hof als Invalide gewährt wurde. Dies verweist auf ein Element gutsherrlicher Verantwortung, das weniger aus humanitärem Ideal als aus sozialer Stabilitätserwägung entsprang.
Insgesamt dokumentiert das Personalwesen des Gutes Angern eine ausgefeilte soziale Mikrostruktur mit klarer Hierarchie, differenzierten Pflichten und kalkulierten Bindungsmechanismen – ein Spiegelbild der spätfeudalen Arbeitsgesellschaft im Übergang zur verwalteten Betriebsform.. Lohnlisten, Anstellungen, Kündigungen, Dienstverhältnisse und Bestrafungen sind dokumentiert (H 13, Nr. 351–353). Die Dienstverhältnisse waren formal geregelt, aber durchdrungen von hierarchischem Denken. Disziplinarmaßnahmen, etwa bei Trunkenheit, Diebstahl oder Verweigerung von Nachtwachen, unterstreichen den patriarchalen Charakter der Wirtschaftsführung.
Auffällig ist, dass Christoph Daniel zunehmend versuchte, Naturalverhältnisse zu monetarisieren: Dienste wurden in Geld abgelöst, Abgaben in feste Summen umgerechnet (vgl. H 13, Nr. 266). Diese Praxis erleichterte nicht nur die Planung und Kontrolle, sondern war auch Ausdruck eines wirtschaftlich modernisierten Gutsherrentums, das auf Verlässlichkeit und Berechenbarkeit statt auf persönliche Verfügbarkeit setzte.
Kapitel 3 dokumentiert somit eine Gutsherrschaft, die nicht nur auf ökonomischer Ausbeutung beruhte, sondern auf einer Kombination aus Ordnung, Kontrolle und funktionaler Planung. Christoph Daniel von der Schulenburg erscheint als Gutsherr neuen Typs: wirtschaftlich gebildet, strategisch denkend, verwaltungstechnisch versiert – und fest entschlossen, sein ökonomisches Fundament ebenso zu sichern wie seine soziale Ordnung.