Kapitel 7 des Gutsarchivs Angern öffnet den Blick über die Grenzen des Guts und der Altmark hinaus. Es dokumentiert, wie sehr die Familie von der Schulenburg im 18. Jahrhundert in überregionale, ja sogar europäische Kontexte eingebunden war. Christoph Daniel von der Schulenburg war nicht nur lokal wirksamer Gutsherr, sondern zugleich Militär, Diplomat, Netzwerker und transnationaler Akteur. Das Archiv belegt damit eindrucksvoll, wie Mobilität, Vernetzung und Territorialität sich in der adligen Lebenspraxis wechselseitig durchdrangen.
Im Zentrum steht die militärische Karriere Christoph Daniels im sardischen Dienst (H 13, Nr. 338–339). Als Generalleutnant im Königreich Sardinien nahm er an politischen wie kriegerischen Operationen in Italien teil und bewegte sich in einem höfisch-diplomatischen Milieu, das weit über die Welt der brandenburgisch-preußischen Rittersitze hinausreichte. Seine Korrespondenz zeigt, dass er aus dem Ausland nicht nur politische Entwicklungen kommentierte, sondern aktiv die Verwaltung seiner Güter steuerte. Die Tatsache, dass er während seiner Abwesenheit durch Bevollmächtigte, Amtsverwalter und ausführliche Anweisungen eine funktionierende Gutsherrschaft aufrechterhielt, ist ein Beleg für die räumliche Erweiterung adliger Handlungsspielräume im 18. Jahrhundert.
Die Akten H 13, Nr. 340–344 zeigen darüber hinaus eine Vielzahl an Reisedokumenten, Pässen, Empfehlungsschreiben und Legitimationspapieren, die für Reisen innerhalb des Reiches wie auch nach Italien, Frankreich oder in das habsburgische Gebiet ausgestellt wurden. Mobilität war für Adlige dieser Zeit nicht Ausnahme, sondern Erwartung. Der Adel definierte sich wesentlich über Bewegung: auf Schlachtfeldern, an Höfen, in Salons, bei diplomatischen Missionen oder auf Bildungsreisen. In diesen Bewegungen wurde Zugehörigkeit erzeugt – zu Dynastien, Kulturen, politischen Allianzen.
Auch wirtschaftlich war die Familie überregional vernetzt. Die Akten H 13, Nr. 429–443 dokumentieren Besitz und wirtschaftliche Beziehungen zu Gütern außerhalb Angerns – etwa in Lieberose, Krüssau, Burgscheidungen oder Tucheim. Diese Besitzstreuung war keine bloße Erweiterung von Landbesitz, sondern Teil einer strategischen Vermögensdiversifikation. Die Verwaltung dieser externen Besitzungen erfolgte durch dort ansässige Amtmänner, doch wurden diese regelmäßig durch Angern kontrolliert. Die Schulenburgs verstanden sich nicht nur als Herren eines Ortes, sondern als Manager eines Territorienverbunds.
In dieser Perspektive erscheint Christoph Daniel als Typus des „mobilen Gutsherrn“: sesshaft im Zentrum, handlungsfähig in der Peripherie, stets eingebunden in Netze von Verwandtschaft, Diplomatie und Militär. Sein Handeln verband lokale Wurzeln mit europäischer Reichweite – ein Charakteristikum vieler Adelskarrieren des 18. Jahrhunderts. Der Austausch von Personen, Waren, Informationen und Erwartungen war dabei nicht nur Begleiterscheinung, sondern integraler Bestandteil seiner Herrschaftspraxis.
Kapitel 7 zeigt eindrucksvoll, dass Adel in der Frühen Neuzeit nicht auf das Schloss oder das Gut reduziert werden kann. Vielmehr war adlige Existenz ein dynamisches Geflecht aus Mobilität, Kontrolle, Kommunikation und territorialer Verankerung. Das Gutsarchiv Angern bewahrt diese transregionale Dimension des Schulenburg’schen Wirkens in einzigartiger Form – als administrative Spurensammlung eines Adels, der über weite Räume hinweg dachte, plante und wirkte.