Sehr gerne – hier ist der ausgearbeitete Abschnitt zu:
Symbole des Dienstes, Trophäen der Erinnerung
Inmitten der Jagdwaffen, Prunkpistolen und exotischen Klingen seiner Sammlung verzeichnet das Inventar von 1752 auch ein Stück, das sich durch seinen unmittelbar kriegerischen Charakter deutlich abhebt: eine „Haubitze zu Grenaden“. In einem ansonsten vom Ornament und vom höfischen Stilwillen geprägten Ensemble nimmt dieses Geschütz eine Sonderstellung ein – es verweist auf das eigentliche Handwerk Christoph Daniel von der Schulenburgs: den Krieg.
Die Haubitze ist eine schwere, kurzrohrige Artilleriewaffe mit gebogenem Schussverlauf, die im 18. Jahrhundert insbesondere zum Verschießen von Granaten auf befestigte Stellungen diente. Die Bezeichnung „zu Grenaden“ zeigt, dass es sich um ein Modell mit gewölbter Flugbahn handelte – ein Instrument des Belagerungskrieges, konzipiert zur Bekämpfung von Deckungen, Mauern und innerstädtischen Zielen. Solche Waffen wurden üblicherweise nicht in Innenräumen aufbewahrt – ihr Vorhandensein im Kabinett weist unmissverständlich auf einen trophäenhaften Charakter hin.
Tatsächlich ist die Einbeziehung eines Artilleriestücks in eine private Sammlung kein Einzelfall: Schon im 17. Jahrhundert begannen europäische Feldherren, Beutegeschütze oder Modellhaubitzen in ihre Residenzen zu überführen – nicht nur als Andenken, sondern als monumentalisierte Spuren von Macht (vgl. Wüstefeld 2004: „Kanonen in den Kunstkammern“). Anders als Pistolen oder Degen konnte eine Haubitze nicht bei Hofbällen mitgeführt werden – sie wurde ausgestellt, oft in Verbindung mit Kartenmaterial, Uniformfragmenten oder Medaillen.
Christoph Daniel hatte sich in den Diensten des Königs von Sardinien durch mehrere Feldzüge ausgezeichnet. Seine militärische Laufbahn ist in Sardinien bis heute dokumentiert – unter anderem durch Patente, Gnadenbriefe und Lobschreiben König Viktor Amadeus’ II. (vgl. Schulenburg/Krosigk 2022). Dass er seine militärische Identität auch im privaten Rahmen visualisierte, ist Ausdruck des barocken Lebens in Inszenierungen – die Grenze zwischen Dienst und Darstellung war fließend.
In einer Zeit, in der der Offizier nicht nur Schlachten schlug, sondern auch Gast bei Hofe, Richter über Untertanen und Architekt seiner Ländereien war, musste sich seine militärische Kompetenz auch im Objekt widerspiegeln. Die Haubitze, so unhandlich sie im Raum wirken mag, erfüllt in diesem Kontext eine klare Funktion: Sie ist das epische Zentrum der Sammlung, der Ursprung aller nachfolgenden Rangzeichen – ohne sie blieben Pistolen und Hirschfänger bloße Accessoires.
Ein Vergleich zu ähnlichen Beständen – etwa der Artillerie-Sammlung des Prinzen Eugen von Savoyen im Belvedere oder der Geschützgalerie der Dresdner Rüstkammer – zeigt: Die Einbindung von Kriegsgerät in höfische Kontexte war ein bewusster Akt symbolischer Umcodierung. Der Zerstörungskraft wurde durch Einordnung ins Kunstvolle der Stachel genommen – aus dem Gerät der Verwüstung wurde ein Objekt der Bewunderung.
Im Schloss Angern wird dieser Gedanke räumlich vollzogen: Die Haubitze steht nicht auf einem Feld, sondern im Kabinett des Denkens und Betrachtens, zwischen Supraporten und Damast. Sie ist kein Werkzeug mehr, sondern Erzählung. Sie berichtet von einem Leben im Dienst, von Feldzügen und Belagerungen, vom Marsch durch Piemont und Savoyen – und von der Rückkehr in die Stille der Altmark.
Literaturverweise
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Wüstefeld, Thomas: Kanonen in den Kunstkammern. Kriegsgerät zwischen Technik und Repräsentation, in: „Waffen als Kulturgut“, hrsg. von H. Müller, 2004.
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Schulenburg, Alexander / v. Krosigk, Klaus-Henning: Publikation Angern, 2022 .
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Landesarchiv Magdeburg, Rep. H Angern Nr. 76: Inventarverzeichnis Schloss Angern, Januar 1752 .
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Elias, Norbert: Über den Prozeß der Zivilisation, Frankfurt a. M. 1976.