Von der Haubitze zur Historie – die 24 Cäsaren im Kabinett Christoph Daniels
Im Anschluss an die Waffensammlung, die Jagdutensilien und Reisegegenstände vermerkt das Inventar von 1752 eine kleine, beinahe unscheinbare Schachtel, die sich bei näherer Betrachtung als ideell bedeutsam erweist. Dort heißt es:
„ferner sind noch in einer Schachtel die 12 ersten Cesars mit ihren Gemahlinnen, in allem 24 Stück vertable Antiquen (24 pieces des Antiques represent les 12 Cesars et les 12 Cesarines).“
Es handelt sich dabei um 24 Miniaturen – möglicherweise aus Terrakotta, Wachs, Metall, Porzellan oder bemaltem Holz –, die jeweils einen der zwölf ersten römischen Kaiser von Augustus bis Domitian und ihre Ehefrauen darstellen. Der französische Titel „vertable Antiquen“ verweist vermutlich auf die Bezeichnung „véritables antiques“, also „echte Altertümer“ oder wirklich antike Figuren – eine Zuschreibung, die sich in barocken Kunstkammern oft auf imitierte oder idealisierte Repliken bezog.
Antikenikonografie im Barock – ein Raum des politischen Denkens
Die römischen Cäsaren waren im 18. Jahrhundert keine bloßen historischen Gestalten, sondern politische Archetypen. In der Literatur, Architektur, Emblematik und Porträtkunst dienten sie als Spiegel des eigenen Standesbewusstseins – als positive oder negative Modelle der Herrschaft. Augustus symbolisierte Mäßigung und Staatskunst, Nero und Caligula standen für Maßlosigkeit und Willkür, Titus für Gerechtigkeit und Weisheit. Ihre Gattinnen, häufig als matronae Romanae stilisiert, verkörperten Tugenden wie Fruchtbarkeit, Loyalität, Pietas oder – im Fall von Messalina – auch Intrige und moralischen Verfall.
Miniaturensembles dieser Art finden sich in zahlreichen europäischen Sammlungen des 17. und 18. Jahrhunderts, etwa im Grünen Gewölbe in Dresden oder in der Kunstkammer des Erzherzogs Ferdinand II. in Ambras bei Innsbruck. Ihre Anordnung folgte einem didaktischen Prinzip – man konnte Geschichte „im Raum betrachten“, antike Biographien durch Formen und Materialien sinnlich erfassen (vgl. Sybille Ebert-Schifferer: Kunstkammern der Renaissance, München 2002).
Christoph Daniel, selbst ein hochgebildeter Militär, der lateinische Texte kannte und vermutlich antike Autoren wie Sueton oder Livius las, wird diese Figuren nicht als bloßes Kuriosum gesammelt haben. Sie standen für ihn als Genealogie politischer Erfahrung, eingebettet in die Vorstellung, dass auch seine eigene Vita – als General, Gutsbesitzer und Fideikommissstifter – in einem historischen Kontinuum stand.
Die Kaiser und ihre Kaiserinnen – politische Paarbildung
Auffällig ist die konsequente Verbindung männlicher und weiblicher Figuren: Nicht nur die zwölf Cäsaren, sondern explizit auch ihre Ehefrauen werden dargestellt. Diese Entscheidung verweist auf das barocke Interesse an dynastischen Allianzen, ehelicher Tugend und weiblicher Rolle im höfischen System. Gerade in einer Zeit, in der der barocke Hofstaat auf dem Zusammenspiel männlicher Macht und weiblicher Repräsentation beruhte, waren solche Miniaturen mehr als Dekor – sie waren Schulmodelle höfischer Kultur.
Die Entscheidung, sie in einer „Schachtel“ aufzubewahren, legt nahe, dass sie nicht in einer Vitrine oder auf einem Kaminsims standen, sondern aufgeklappt und betrachtet werden konnten – wie ein mobiles Lehrstück oder ein persönliches Museum im Kleinstformat. Sie gehörten zu den intimen Objekten adliger Bildung, wie sie von Leibniz, Thomasius oder Bodmer im 18. Jahrhundert beschrieben wurden: klein, aber bedeutungsschwer.
Funktion und Ort im Gesamtraum
Positioniert im gleichen Raum wie Musketen, Pistolen, Hirschfänger und ein grünsamtener Sattel, bilden diese Figuren eine semantische Kontrastfolie: Während Waffen für Handeln und Eingreifen stehen, symbolisieren die Cäsarenfiguren das Reflektieren über Macht, das Nachdenken über Herrschaftsgeschichte.
Der Raum wird so zum Mikrokosmos aristokratischer Lebensführung: Nicht nur Gewalt, nicht nur Prunk, sondern auch politisches Denken, Erinnerung und Kontemplation hatten hier ihren Platz. Die „Cesarines“ sind dabei keine Randfiguren, sondern – in barocker Manier – gleichwertige Symbole für die Mitverantwortung weiblicher Handlungsmacht innerhalb dynastischer Systeme.
Fazit: Ein gelehrter Blick auf die Geschichte
Diese 24 Miniaturen sind mehr als ein kurioses Kabinettstück: Sie sind politische Ikonen in Miniaturform, Reflexionsmedien aristokratischer Weltdeutung. In der Verbindung von militärischem Gerät und antiker Figuration spiegelt sich ein barockes Selbstbild, das Krieg und Kultur, Macht und Maß, Herrschaft und Geschichte in einem privaten Raum zur Darstellung bringt.
Christoph Daniels Sammlung war somit nicht nur Zeugnis seines Weges, sondern auch Ausdruck eines historischen Bewusstseins, das Vergangenheit als Handlungsanleitung und Maßstab verstand – und das in Kaiser Augustus genauso einen Lehrer sah wie in der Ordnung eines preußischen Feldreglements.
Literaturverweise
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Ebert-Schifferer, Sybille: Kunstkammern der Renaissance, München 2002.
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Findlen, Paula: Possessing Nature: Museums, Collecting, and Scientific Culture in Early Modern Italy, Berkeley 1994.
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Elias, Norbert: Über den Prozeß der Zivilisation, Frankfurt a. M. 1976.
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Schulenburg, Alexander / v. Krosigk, Klaus-Henning: Publikation Angern, 2022 .
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Landesarchiv Magdeburg, Rep. H Angern Nr. 76: Inventarverzeichnis Schloss Angern, Januar 1752 .