Die Familiengruft des Hauses von der Schulenburg in der Kirche zu Angern. Befund, Genealogie und Memorialkultur im 18. und frühen 19. Jahrhundert. Unter dem Turm der Kirche von Angern befindet sich die eigens für das Haus Angern eingerichtete Familiengruft derer von der Schulenburg. Ein Schriftstück aus dem Jahr 1733 (Gutsarchiv Beetzendorf, Rep. H Beetzendorf BI Nr. 202) belegt, dass die Gruft zeitgleich mit dem Kirchturmbau neu angelegt wurde. Sie ist ausschließlich den Mitgliedern der Linie Angern vorbehalten; der verwandten Linie Gut Vergunst wurde zugesichert, dass auf Wunsch ein eigenes Gewölbe in der Kirche eingerichtet werde.
Die Anordnung der Särge erfolgt in zwei gestaffelten Ebenen, die durch Balkenkonstruktionen getragen werden. Die Särge bestehen sowohl aus Holz als auch aus Stein und zeigen durch Inschriften, Materialwahl und Größenverhältnisse eine klare hierarchische Differenzierung. Ergänzt wird die Anlage durch Kindersärge, teilweise ohne Beschriftung, was auf Kindersterblichkeit innerhalb der Familie verweist.
Obere Reihe von links nach rechts
Holzsarg: Herr Franz Carl Baron v.d. Schulenburg
Geboren: 05.10.1738, verstorben: 09.03.1810 in Wolmirstedt
Franz Carl II. Baron von der Schulenburg (1738–1810) gehörte genealogisch zum mittleren Zweig Angern – konkret zur Linie Kehnert, einem Seitenzweig des Hauses von der Schulenburg. Er war der einzige überlebende Sohn von Franz Karl I. von der Schulenburg (Nr. 915), dem Landrat es Holzkreises und Mitglied der Magdeburger Domänenkammer, aus dessen zweiter Ehe mit Charlotte Wilhelmine von Leipziger. Die Familie verlor ihre Besitzungen Schricke (verkauft 1741) und Farsleben (1749 an den Bruder abgegeben), sodass Franz Carl II. nicht in den Genuss nennenswerter eigener Herrschaftsrechte kam. Er blieb unverheiratet und hatte keine Nachkommen. Mit seinem Tod 1810 in Wolmirstedt erlosch die direkte männliche Linie seines Zweigs. Sein Grab befindet sich in der Familiengruft der Kirche Angern, dokumentiert durch einen Holzsarg mit Inschrift. Die Linie seiner Familie lässt sich über Joachim Ludolf (Nr. 762) zurückverfolgen und umfasste auch die später bekannten Häuser Schricke und Kehnert, beides ehemalige Zubehörteile des Ritterguts Angern.
Holzsarg: Friedrich Ch. D. Graf v.d. Schulenburg, Krg.Pr.Kammerdir, Erbherr auf Angern, Wentdorf und Bülitz. Kgl.Pr. Chef Präs. und Ritter.
Geboren: 09.09.1769, verstorben: 16.05.1821
Friedrich Christoph Daniel Graf von der Schulenburg (* 10. Februar 1769 auf Angern; † 16. Mai 1821 in Magdeburg) war einer der bedeutendsten Vertreter des Hauses Angern im frühen 19. Jahrhundert. Nach juristischer Ausbildung in Halle und früher Karriere als Landrat des Holzkreises und später Kammerdirektor in Warschau, bewirtschaftete er ab 1801 das marode Gut Angern neu und setzte entscheidende Reformen um: Er ließ ein vollständiges Inventarium des Majorats anfertigen, organisierte die Separation der Gemeindefluren und gestaltete die Untertanenverhältnisse vertraglich neu. Während der Befreiungskriege gegen Napoleon war er Organisator der Landwehr in der Altmark, wofür er mit dem Eisernen Kreuz am weißen Bande ausgezeichnet wurde. Ab 1816 bekleidete er das Amt des Chefpräsidenten der preußischen Regierung zu Magdeburg. Nach seinem Tod 1821 wurde er in der Familiengruft in Angern beigesetzt. Seine Verdienste prägten die Verwaltung des Majorats und die Stellung der Familie im preußischen Staatsdienst maßgeblich.
Holzsarg: Henriette Ch.ane Chas. Gräfin v.d. Schulenburg v. Rott
Geboren: 23.05.1778 zu Kockte, verheiratet: 27.02.1803 mit Friedrich Ch. D. Graf v.d. Schulenburg, Krg.Pr.Kammerdir, verstorben: 09.04.1811
Henriette Christiane Charlotte von der Schulenburg, geborene von Rohtt zu Holzschwang (* 23. Mai 1778 in Kockte; † 9. April 1811), entstammte einem altadligen Haus mit Besitz in Schwaben. Ihre Ehe mit Friedrich Christoph Daniel Graf von der Schulenburg wurde am 27. Februar 1803 geschlossen. Ihr früher Tod im Jahr 1811 im Alter von nur 32 Jahren war ein tiefer Einschnitt für die Familie. Ihr Andenken wurde durch einen Gedenkstein im Park von Schloss Angern bewahrt. Sie wurde in einem Holzsarg in der Familiengruft unter dem Kirchturm von Angern beigesetzt. Aus der Ehe gingen zwei Töchter hervor, von denen nur eine das Erwachsenenalter erreichte.
Holzsarg: Ohne Aufschrift
Untere Reihe von links nach rechts
Steinsarg: Allhier ruhet in Gott der Hochwohlgeborene Herr, Herr Heinrich Hartwich v.d. Schulenburg, Erbherr auf Angern, Wentorff, Schrick, Kobbel und Bülitz.
Geboren: 1677, verstorben: 17. Juni 1734, im Alter von 51 Jahren.
Er war vermählt mit der Hochwohlgeborenen Fräulein Catharina Sophia von Treskow aus dem Hochadligen Hause Treskow zu Nigrib im Jahre 1704. Zusammen hatten sie 12 Kinder, davon 9 Söhne und 3 Töchter.
Heinrich Hartwig I von der Schulenburg (1677–1734) war der älteste Sohn Henning Christophs und trat 1700 in sardinische Dienste ein, verließ diese aber 1702 als Hauptmann und ließ sich auf Angern nieder. Nach mehreren Erbschaften und Besitzverlagerungen übernahm er 1718 den Burghof in Angern, geriet jedoch in langjährige Streitigkeiten mit dem Besitzer der anderen Gutsteile, Adolf Friedrich von der Schulenburg. 1734 starb er; sein Besitz fiel in Konkurs. Sein Bruder Christoph Daniel kaufte das Gut zurück und begann den barocken Schlossbau. Heinrich Hartwig war seit 1704 mit Catharina Sophia von Tresckow verheiratet und hatte neun Kinder, darunter die Stammväter der Linien Burgscheidungen und Angern. Sein Steinsarg steht in der Familiengruft der Kirche Angern.
Steinsarg: Allhier ruhet in Gott die Hochwohlgeborene Frau Catharina Sophia v.d. Schulenburg, geborene von Treskow aus dem Hochadligen Hause derer von Treskow auf Nigrib.
Geboren: 02. Mai 1688
Zitat aus Hiob 19
Catharina Sophia von Tresckow (1688–1742) entstammte dem hochadligen Haus Tresckow zu Niegripp und heiratete im Jahr 1704 Heinrich Hartwig I. von der Schulenburg, Erbherr auf Angern. Aus der Ehe gingen zwölf Kinder hervor, von denen einer die Linie Burgscheidungen gründete. Das in Grabinschriften häufig verwendete Zitat aus Hiob 19 lautet (nach der Lutherübersetzung von 1545 bzw. 1912):
„Ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und er wird mich hernach aus der Erde auferwecken.“ (Hiob 19,25)
Manchmal wird auch der erweiterte Verszusammenhang verwendet:
„Ich weiß, dass mein Erlöser lebt; und als der letzte wird er über dem Staub sich erheben. Und nachdem diese meine Hülle zerbrochen ist, dann werde ich, ohne mein Fleisch, Gott schauen.“ (Hiob 19,25–26)
Dieser Bibelvers war besonders in Adelskreisen des 17. und 18. Jahrhunderts ein Ausdruck christlicher Hoffnung auf die leibliche Auferstehung und wurde daher häufig auf Sarkophagen oder Grabplatten verwendet – so auch auf dem Steinsarg von Catharina Sophia von der Schulenburg, geborene von Treskow, in der Familiengruft von Angern.
Kleiner Holzsarg: Ohne Aufschrift
Kleiner Holzsarg: Paul August Carol Edila Ulricke Mathilde Gr. v.d. Schulenburg
Geboren: 13.11.1807, verstorben: 06.06.1808
Die außergewöhnlich lange Namensreihe „Paul August Carol Edila Ulricke Mathilde“ in der Inschrift eines kleinen Holzsarges in der Familiengruft derer von der Schulenburg deutet auf ein im Säuglingsalter verstorbenes Kind hin. Die Kombination männlicher und weiblicher Vornamen war in Adelskreisen jener Zeit üblich – insbesondere bei Kindern, deren früher Tod eine symbolische Verbindung zu mehreren Familienangehörigen oder Paten durch die Namen dokumentieren sollte. Angesichts der Lebensdaten und der familiären Situation ist es sehr wahrscheinlich, dass es sich um eine Tochter von Friedrich Christoph Daniel von der Schulenburg (1769–1821) und seiner ersten Ehefrau Henriette von Rohtt (1778–1811) handelt. Aus dieser Ehe sind zwei Töchter überliefert, von denen eine früh verstarb. Die zeitliche und räumliche Übereinstimmung spricht dafür, dass dieser Sarg eben jenes verstorbene Kind birgt – still bezeugt in der Gruft der Kirche zu Angern.
Holzsarg: Ohne Aufschrift
Zusätzlich befinden sich noch drei Kindersärge in der Gruft.
Gräber in der Kirche
- 1676: Ein eingesunkenes Grab wurde ausgebessert.
- 1691: Ein weiteres Grab wurde ausgefüllt.
Leichenlaken
Das Leichenlaken der Kirche Angern war ein fester Bestandteil der örtlichen Bestattungskultur. Bereits 1722/23 wurde ein solches Tuch der Kirche geschenkt; es war schwarz gefärbt – eine für Trauerkleidung typische Farbe – und wurde fortan gegen eine Gebühr von 1 Groschen verliehen. Dies weist auf eine standardisierte Praxis hin, Verstorbene bei der Aufbahrung oder im Trauerzug mit einem symbolisch bedeutsamen Tuch zu bedecken.
Im Jahr 1850 wurde ein neues Laken aus 9 Ellen Zephirtuch (ein feines, leichtes Woll- oder Baumwollgewebe) hergestellt. Die angegebene Materialmenge deutet auf ein großflächiges Tuch hin, geeignet zur vollständigen Abdeckung eines Sarges oder zur dekorativen Einfassung des Aufbahrungsplatzes. Die Herstellungskosten beliefen sich auf 10 Taler und 15 Groschen, was auf die anhaltende Bedeutung solcher Ausstattungselemente im kirchlichen Trauerritus hinweist.
1858 wurde dann letztmals eine Gebühr für die Nutzung des Leichenlakens erhoben – ein Hinweis darauf, dass sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Bestattungsgepflogenheiten oder Finanzierungsmuster allmählich veränderten. Danach verliert sich die Spur des Leichenlakens in den Kirchenrechnungen. Es kann vermutet werden, dass es zunehmend durch private Tücher oder kommerzielle Bestattungsangebote ersetzt wurde.
Totenbahren
Totenbahren waren bereits lange vor dem 18. Jahrhundert in der Kirche Angern vorhanden. Sie dienten der Aufbahrung und dem Transport der Verstorbenen innerhalb der Kirche und vom Sterbeort zum Begräbnisplatz. Die Kirchenrechnungen belegen regelmäßig wiederkehrende Anschaffungen, Instandsetzungen und Reparaturen, was auf einen dauerhaften liturgischen und praktischen Gebrauch hinweist. Anders als beim Leichenlaken, das gegen eine kleine Gebühr ausgeliehen wurde, war die Benutzung der Bahren kostenlos – ein Hinweis auf die Gemeinschaftsverantwortung der Kirchengemeinde für den würdigen Umgang mit ihren Toten. Vermutlich handelte es sich um einfach gezimmerte Holzgestelle, die bei Trauerfeiern vor dem Altar aufgestellt und anschließend zur Gruft oder zum Friedhof getragen wurden. Die wiederkehrenden Ausgaben dokumentieren ihre Bedeutung im alltäglichen Bestattungsritus der frühneuzeitlichen Gemeinde Angern.
Bedeutung der Familiengruft
Die Gruft unter dem Kirchturm von Angern ist ein herausragendes Zeugnis der sepulkralen Adelskultur in der Altmark. Sie dokumentiert die dynastische Abgrenzung der Linien (Angern vs. Vergunst), die Genealogie über mehrere Generationen sowie den Übergang vom landsässigen Adel zur preußischen Verwaltungselite. Mit der Beisetzung von Persönlichkeiten wie Friedrich Christoph Daniel oder Heinrich Hartwig I. in kunstvollen Steinsärgen und der Ergänzung durch Kindersärge und unbeschriftete Holzkisten ergibt sich ein vollständiges Bild familiärer Kontinuität, sozialer Stellung und religiös konnotierter Memorialpolitik.