Im 14. Jahrhundert war die Altmark Schauplatz konkurrierender Herrschaftsansprüche. Die Markgrafen von Brandenburg, das Erzbistum Magdeburg und verschiedene Adelsfamilien wie die von Alvensleben und von Grieben rangen um Besitz, Lehensrechte und lokale Macht. Die Gründung der Burg in Angern diente der Erzdiözese Magdeburg zur militärischen Sicherung und verwaltungstechnischen Kontrolle ihrer südaltmärkischen Besitzungen. Die Anlage einer Wasserburg mit Wehr- und Wohnfunktion manifestierte die landesherrliche Präsenz in einem territorial instabilen Raum.
Die Gründung der Burg Angern im Jahr 1341 wird allgemein mit dem Namen Otto von Hessen (1292–1369), Erzbischof von Magdeburg seit 1327, in Verbindung gebracht. Ob es sich dabei um einen Neubau oder die Verstärkung einer bereits vorhandenen Anlage handelte, ist unklar. Als Landesherr und geistliches Oberhaupt in einem der umkämpftesten Territorien des mitteldeutschen Raumes verfolgte Otto von Magdeburg eine konsequente Territorialpolitik zur Festigung der erzbischöflichen Macht in der Altmark. Die Entscheidung für einen Burgneubau in Angern ist im Kontext der politischen, wirtschaftlichen und geographischen Gegebenheiten des 14. Jahrhunderts zu verstehen. Die Burg wurde erstmals 1336 urkundlich erwähnt, als es zwischen dem Erzbischof von Magdeburg und dem Markgrafen von Brandenburg zu einer Einigung über die Besitzverhältnisse in der südlichen Altmark kam.
Symbolisch stellte die Burg Angern auch ein Machtsignal dar: Als erzbischöflicher Neubau überformte sie vermutlich ältere adlige Besitzstrukturen. Noch 1370 finden sich Belehnungen an Söhne des Ritters Jakob von Eichendorf, 1373 tritt Gebhard von Alvensleben als Lehnsherr auf. Die Burg wurde somit nicht nur als Amtssitz, sondern auch als Machtinstrument in einem lokalen Lehenskonflikt verwendet.
Militärisch war die Burg als Kontrollpunkt für Personen- und Warenverkehr sowie als Vorposten gegen mögliche Übergriffe auf das Kerngebiet des Erzstifts zu verstehen (vgl. Hagen Schulzes 'Staat und Nation in der deutschen Geschichte' 1995, S. 218).
Zwischen Elbe und Altmark – Die Lage Angerns im mittelalterlichen Verkehrs- und Handelsnetz um 1350
Im 14. Jahrhundert war das mitteldeutsche Elbegebiet durch ein dichtes Netz an Wasser- und Landwegen geprägt, das wirtschaftlich, politisch und strategisch große Bedeutung hatte. Die Ortschaft Angern, gelegen zwischen der Stadt Magdeburg und der Altmark, bildete einen Zwischenraum, der zwar nicht direkt an den großen Handelszentren lag, aber in ihrer Nähe an bedeutenden Verkehrsachsen teilhatte. Dieses Essay untersucht die Rolle Angerns im Kontext überregionaler und regionaler Handelsverbindungen um 1350 und analysiert die mögliche Funktion der dortigen Burganlage vor dem Hintergrund zeitgenössischer Verkehrsstrukturen.
Verteidigung, Kontrolle und Repräsentation – Die Funktion der Zweiteilung in der Burg Angern
Die ungewöhnliche bauliche Gliederung der Burg Angern in eine Hauptburg und eine eigenständige Turminsel mit Bergfried war keine zufällige Wahl, sondern Ausdruck einer gezielten strategischen Planung. Diese Zweiteilung ermöglichte eine Verteidigung in Stufen: Während die Hauptburg mit Palas, Vorhof und Wirtschaftsbereichen den alltäglichen Betrieb und die Verwaltung aufnahm, bot die isolierte Turminsel einen stark gesicherten Rückzugsort. Im Falle eines Angriffs konnten sich die Verteidiger dorthin zurückziehen, wo die natürliche Barriere des Wassergrabens einen effektiven Schutz bot.
Gleichzeitig deutet die Lage Angerns im Übergangsraum zwischen dem Erzbistum Magdeburg, der Altmark und den Elbübergängen auf eine regionale Kontrollfunktion hin. Die Burg könnte als Vorposten zur Sicherung lokaler Wege, möglicherweise auch zur Überwachung von Warenströmen und Personenbewegungen gedient haben. In diesem Kontext war die abgesetzte Turminsel auch ein Instrument der Machtdemonstration: Der hoch aufragende Bergfried über der eigenen Insel unterstrich die Wehrfähigkeit und Unabhängigkeit der herrschaftlichen Präsenz.
Die Zweiteilung der Anlage steht somit exemplarisch für den multifunktionalen Charakter mittelalterlicher Burgen: Sie diente der militärischen Sicherung, der regionalen Kontrolle und der symbolischen Repräsentation adliger Herrschaft – eingebettet in einen Verkehrsraum von überregionaler Bedeutung.
Die Elbe als Hauptverkehrsader
Die Elbe zählte zu den wichtigsten Binnenwasserstraßen des mittelalterlichen Reiches. Seit dem Hochmittelalter war sie schiffbar von Böhmen bis Hamburg, wobei Städte wie Magdeburg, Havelberg, Tangermünde und Wittenberge zentrale Umschlagplätze bildeten. Bereits im 10. Jahrhundert hatte Otto der Große die Elbe als ökonomischen und militärischen Raum erschlossen; im 14. Jahrhundert sicherten Zollstationen, Stapelrechte und Fähren den Handelsfluss.
Vgl. Dollinger, Philippe: Die Hanse, Stuttgart 1966, S. 91–95;
Pätzold, Steffen: Das Reich des Mittelalters, München 2023, S. 312–315.
Angern lag nur wenige Kilometer von der Elbe entfernt, östlich des heutigen Fährortes Rogätz, wo sich vermutlich bereits im 14. Jahrhundert ein Übergang über den Fluss befand. Diese Nähe eröffnete der Burg Angern strategische Kontrollmöglichkeiten, insbesondere für Güter, die vom östlichen Hinterland zur Elbe transportiert wurden.
Landwege zwischen Magdeburg und der Altmark
Die Altmark war seit der deutschen Ostsiedlung im 12. Jahrhundert eine agrarisch und städtisch geprägte Region, verbunden durch ein Netz mittelalterlicher Landstraßen. Eine der wichtigsten Routen verlief von Magdeburg über Wolmirstedt nach Stendal, weiter nach Salzwedel und in Richtung Lübeck. Diese Achse war Teil der sogenannten Altmarkstraße, die an das Hanseatische Verkehrsnetz angebunden war.
Vgl. Hucker, Bernd-Ulrich: Die Altmark im Mittelalter, in: Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters 18 (1990), S. 55–74.
Angern lag zwar etwas östlich versetzt, aber nahe genug, um als sekundärer Zugangspunkt oder als befestigter Vorposten zur Absicherung der Verbindungswege zu fungieren. Die Burg konnte sowohl lokale Reiserouten als auch Fehdebewegungen im Auge behalten.
Funktion der Burg Angern im Verkehrsraum
Die Wasserburg Angern – bestehend aus Vorburg, Hauptburg, Turminsel und Bergfried – war architektonisch auf Verteidigung und Kontrolle ausgerichtet. Der Zugang durch ein Pforthäuschen, die strategisch getrennten Inseln und der Wassergraben sprechen für eine starke militärische Ausprägung. Aus dieser Struktur ergibt sich der Schluss, dass sie in einem Raum mit erhöhter politischer oder wirtschaftlicher Bedeutung lag – also nicht isoliert, sondern im Schnittpunkt regionaler Bewegungen. Zudem ist die Nähe zum Stift Walbeck, zur Vogtei Burg Ummendorf und zur damaligen Territorialgrenze der Mark Brandenburg (westlich der Elbe) ein Hinweis auf Angerns Rolle als Grenzsicherungspunkt im Raum Magdeburg–Altmark.
Zwar sind direkte Funde von Handelswegen in Angern bislang nicht gesichert, doch Rekonstruktionen auf Grundlage historischer Karten (z. B. der sächsischen Meilenblätter) zeigen ein Wegenetz, das sich südlich und nördlich der Elbe an Angern vorbeizog.
Vgl. Landesamt für Denkmalpflege Sachsen-Anhalt: Denkmalverzeichnis Landkreis Börde, Halle 2021;
Meydenbauer, Albrecht: Die Meilenblätter der Königlich-Preußischen Landesaufnahme, Berlin 1893.
Raubrittertum
Die Geschichte von Gebhard von Alvensleben auf der Burg Angern veranschaulicht exemplarisch die politischen, wirtschaftlichen und militärischen Spannungen des späten 14. Jahrhunderts in Mitteldeutschland. Als Wasserburg mit einer zweigeteilten Struktur – Hauptburg und separater Turminsel – war sie ideal für Verteidigung und Machtdemonstration ausgelegt. In dieser Situation nutzte Gebhard von Alvensleben, der ab 1373 als Lehnsherr auftrat, die Burg nicht im Sinne landesherrlicher Stabilität, sondern als Basis für wiederholte Übergriffe auf Magdeburger Kaufleute. Er missbrauchte das Fehderecht zur persönlichen Bereicherung und trug damit zum Bild des “Raubritters” bei – einer Erscheinung, die in einer Zeit schwacher zentraler Gewalt vielerorts auftrat.
Die Reaktion folgte 1382 durch die aufstrebende städtische Macht Magdeburgs: Bürger der Stadt belagerten die Burg Anger erfolgreich und zwangen Gebhard zur Übergabe gegen eine Zahlung von 400 Mark Silber. Zwei Jahre später wurde die Anlage durch den neuen Erzbischof Albrecht IV. übernommen und in kirchlichen Besitz überführt. Dieses Ereignis spiegelt nicht nur die zunehmende Durchsetzungskraft städtischer Interessen gegenüber dem regionalen Adel wider, sondern zeigt auch, wie die Funktion von Burgen im ausgehenden Mittelalter zunehmend zwischen territorialem Herrschaftsinstrument, wirtschaftlichem Kontrollpunkt und Rückzugsort in Adelsfehden oszillierte. Die Burg Angern wurde so zum Schauplatz eines Machtwechsels, der die sich wandelnden Kräfteverhältnisse zwischen Adel, Kirche und Stadt im Spätmittelalter eindrücklich bezeugt. Gleichzeitig verdeutlicht der Vorfall, welche zentrale Rolle die Burg als Kontrollpunkt an einer wirtschaftlich sensiblen Verkehrsachse spielte – sowohl für adlige Eigeninteressen als auch für die territoriale Sicherung kirchlicher Herrschaft.
Fazit
Angern war im 14. Jahrhundert zwar keine Handelsstadt, aber ein strategisch gut gelegener Ort am Rand bedeutender Handelswege und nahe der Elbe. Die Funktion der Burg lässt sich als militärischer Sicherungspunkt, potenzieller Zollposten und regionaler Verwaltungssitz deuten. Damit war Angern nicht zentral im mittelalterlichen Fernhandel, aber wohl ein aktiver Bestandteil regionaler Mobilität und Kontrolle, besonders im Spannungsfeld zwischen Elbe, Altmark und Magdeburg.
Quellen
- Dollinger, Philippe: Die Hanse. Stuttgart, 1966.
- Hucker, Bernd-Ulrich: Die Altmark im Mittelalter. In: Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters 18 (1990), S. 55–74.
- Pätzold, Steffen: Das Reich des Mittelalters. München, 2023.
- Landesamt für Denkmalpflege Sachsen-Anhalt: Denkmalverzeichnis Landkreis Börde. Halle, 2021.
- Meydenbauer, Albrecht: Die Meilenblätter der Königlich-Preußischen Landesaufnahme. Berlin, 1893.
- Schulze, Hagen: Staat und Nation in der deutschen Geschichte. München, 1994.
- Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Rep. H Angern Nr. 412
- Ziesemer, Ernst: Die mittelalterlichen Burgen der Altmark. Magdeburg 1994.
- Boockmann, Hartmut: Die Burgen im deutschen Sprachraum. München 2002.
- Schulze, Hans K.: Das Erzbistum Magdeburg und seine Bischöfe im Spätmittelalter. In: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters, Bd. 51 (1995), S. 201–228.