Die Nord-Süd-Achse stellt die zentralste Raumachse der barocken Gartenanlage von Schloss Angern dar. Sie beginnt am südlichen Ausgang des Schlosses und verläuft als streng lineare Sicht- und Bewegungsachse durch das geometrisch gegliederte Parterre, setzt sich über die Gartenmauer hinaus fort und mündet schließlich in das offene Feld. Im Gegensatz zu den mehrfach gebrochenen oder kurvenden Alleen im Thiergartenbereich zeichnet sich diese Achse durch vollständige Geradlinigkeit aus. Ihre Zentralität ergibt sich sowohl aus der Lage – sie teilt den Garten symmetrisch – als auch aus ihrer Funktion: Sie verbindet die repräsentative Architektur des Schlosses mit der geordneten Natur des Gartens und führt darüber hinaus in die produktive Kulturlandschaft.
Der Verlauf durch das Parterre ist in der Pro Memoria implizit durch die Struktur der Wege angelegt, etwa in Punkt 9:
„Wann die Gräben so anjetzi in dem Garten sindt, ausgefüllet, und der Garten grade gemachet, sollen die Vier Haubt Gänge bis an die Mauer continuiret werden […]“ (Schulenburg, Pro Memoria, Punkt 9)
Die Nord-Süd-Achse bildet dabei den zentrallängsten dieser vier Hauptgänge. Sie durchschneidet das in sechs Felder gegliederte Parterre und richtet sich nicht auf den Irrgarten, der sich – wie aus der Karte hervorgeht – östlich außerhalb dieser Linie befindet. Anders als bei vielen barocken Gartenanlagen ist der Irrgarten in Angern nicht Teil der Mittelachse, sondern seitlich – als eigenständiger Gartenraum mit symbolischer Tiefenfunktion – angesiedelt. Die Parterrefelder, die beidseitig der Mittelachse angelegt sind, werden in Punkt 10 weiter beschrieben:
„Diese Felder […] sollen mit kleinen Hecken etwa 4 Fuß hoch umzogen und in denen Feldern von allerhandt Sorten Obst Bäumen busquets angelegt werden […]“ (Punkt 10)
Die Achse bildet hier nicht nur einen Weg, sondern ist Teil eines symmetrischen, funktional und ästhetisch abgestimmten Raumrasters, das Wegeführung, Heckenarchitektur und Fruchtbaumanordnung in Einklang bringt.
Südlich des Parterres endet die Achse nicht an einer architektonischen Kulisse, sondern führt über den unteren Gartenrand hinweg hinaus in die offene Landschaft. Auf der historischen Skizze ist deutlich erkennbar, dass ein gerader Weg im Süden an die Gartenachse anschließt – vermutlich ein Zugangs- oder Wirtschaftsweg, der den Garten mit den landwirtschaftlich genutzten Flächen verband.
Diese Durchlässigkeit zwischen Garten und Feld ist kein Zufall, sondern Ausdruck eines gutswirtschaftlich geprägten Barockideals: Die Sichtachse dient hier nicht nur der ästhetischen Ordnung, sondern symbolisiert auch die Verbindung von Herrschaft, Natur und Produktion.
Die Nord-Süd-Achse von Schloss Angern ist damit mehr als nur ein Weg – sie ist die Sinnlinie des gesamten Gartens. Vom Schloss über das Parterre hinaus ins Feld bildet sie eine durchgängige Ideenachse, die das barocke Verständnis von Raum, Kontrolle und Übergang eindrucksvoll veranschaulicht.