Schulenburg Familie in Angern

Das Geschlecht derer von der Schulenburg ist eines der ältesten Adelsgeschlechter Deutschlands, dessen Wurzeln bis ins 13. Jahrhundert zurückreichen.

1921

Friedrich Wilhelm Christoph Daniel verstarb am 24. März 1921 – nur acht Tage vor dem offiziellen Stichtag der Zwangsauflösungsverordnung für Fideikommisse. Dadurch blieb das gebundene Familienvermögen zunächst unberührt. Sein Sohn, Graf Sigurd-Wilhelm, beabsichtigte die Heirat mit einer bürgerlichen Frau, was nach den geltenden Fideikommissbestimmungen zum Verlust seines Erbes geführt hätte.

Um diesem drohenden Erbverlust entgegenzuwirken, wurde am 15. Juni 1921 ein Familienschluss beschlossen, der die Verpflichtung zur standesgemäßen – sprich adeligen – Heirat aufhob. Diese familieninterne Regeländerung wurde vom zuständigen Auflösungsamt in Naumburg geprüft und am 2. September desselben Jahres rechtskräftig bestätigt. Dadurch war es Graf Sigurd-Wilhelm möglich, am 6. September seine Ehe zu schließen, ohne den Anspruch auf das Familienvermögen oder das Majorat zu verlieren.

1946

Die drei Schwestern von Graf Sigurd-Wilhelm wurden mit den Erträgen aus den verpachteten landwirtschaftlichen Flächen des Vorwerks Ellersell abgefunden. Diese Flächen galten als Allodialbesitz und unterlagen somit nicht der Familienbindung des Fideikommisses. Im Gegenzug übertrugen die Schwestern ihr Miteigentum an den Grundstücken auf ihren Bruder, Graf Sigurd-Wilhelm, der damit Alleineigentümer wurde.

Im Zuge der Bodenreform nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Graf Sigurd-Wilhelm am 4. Januar 1946 aus Angern ausgewiesen. Das Gut, das sich über 13 Generationen und insgesamt 498 Jahre im Besitz der Familie befunden hatte, wurde entschädigungslos enteignet. Der Forstbesitz wurde verstaatlicht, die landwirtschaftlichen Nutzflächen wurden im Rahmen der Umverteilung an Kleinbauern und landarme Familien vergeben.

1949

Nach der Enteignung im Zuge der Bodenreform wurde das Schloss im Jahr 1949 in eine Fachschule für Landwirtschaft umgewandelt, um dem regionalen Bildungsbedarf in der jungen DDR gerecht zu werden. Ab 1966 diente es als Berufsschule für den Meliorationsbau – ein zentraler Bereich der sozialistischen Agrarpolitik zur Verbesserung und Nutzbarmachung landwirtschaftlicher Flächen.

Für den Schulbetrieb wurde die barocke Raumstruktur des Schlosses durch den Einbau von Zwischenwänden und Türdurchbrüchen stark verändert. Darüber hinaus errichtete man auf den Rasenflächen des historischen Landschaftsparks eine Baracke mit zusätzlichen Klassenzimmern.

Trotz dieser tiefgreifenden Umnutzung blieben zahlreiche kunstvolle Ausstattungsdetails erhalten – darunter Stuckarbeiten, Holzvertäfelungen und das historische Treppengeländer. Sie stellen heute wertvolle Anknüpfungspunkte für die denkmalgerechte Sanierung und dokumentieren die ursprüngliche Pracht des Gebäudes.

Die schulische Nutzung des Schlosses steht exemplarisch für die politischen und wirtschaftlichen Umbrüche der DDR-Zeit – sie verweist zugleich auf die Herausforderungen, die mit der Nutzung historischer Bausubstanz im Spannungsfeld zwischen Funktionalität und Erhalt denkmalgeschützter Architektur verbunden sind.

1997

Im Mai 1997, rund fünfzig Jahre nach der Enteignung im Zuge der sowjetischen Bodenreform, entschloss sich Alexander Graf von der Schulenburg, das Schlossgebäude samt Park zurückzukaufen. Nach der politischen Wende hatte das leerstehende Gebäude unter Vandalismus und massivem Hausschwammbefall gelitten. Mit Unterstützung durch Fördermittel der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, des Landes Sachsen-Anhalt sowie des heutigen Bördekreises konnten die dringend notwendigen Sanierungsarbeiten begonnen werden.

Im Rahmen der Restaurierung wurden beide Dächer der Seitenflügel vollständig erneuert. Neue Hausanschlüsse wurden über den Wassergraben und durch den Park verlegt. Eine umweltfreundliche Heizlösung wurde mit einer Holzheizanlage realisiert, die mit Holzhackschnitzeln aus dem eigenen Wald betrieben wird. Heute ist das gesamte Gebäude denkmalgerecht saniert. In den Seitenflügeln entstanden sechs moderne Mietwohnungen.

Neben dem Schloss bewirtschaftet die Familie von der Schulenburg heute wieder eigene Waldflächen und landwirtschaftliche Nutzflächen. Die im Zuge der Bodenreform enteigneten Forstflächen konnten vollständig zurückerworben werden – allerdings mit erheblichem finanziellem Aufwand.

In jedem Jahrhundert erlebt die Familie von der Schulenburg und das Haus in Angern bedeutende Veränderungen, doch sie lassen sich nie entmutigen – immer wieder gelingt ein entschlossener Neuanfang gemäß dem Leitsatz "Halte fest was Dir vertraut".

Bis 11. Jahrhundert, 12. Jahrhundert, 13. Jahrhundert, 14. Jahrhundert, 15. Jahrhundert, 16. Jahrhundert, 17. Jahrhundert, 18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, 20. Jahrhundert, 21. Jahrhundert.

Aus dem Tagebuch von Sigurd Graf v.d. Schulenburg

Der Zusammenbruch des Dritten Reichs ist einer der zentralen historischen Bezugspunkte im Tagebuch von Graf Sigurd Wilhelm Christoph Daniel von der Schulenburg-Angern. Seine Schilderungen und Reflexionen bieten einen tiefen Einblick in die Wahrnehmung dieses epochalen Umbruchs aus Sicht eines konservativen, christlich geprägten Adligen im Mai 1945. Der Tagebuchtext ist ein außergewöhnliches Beispiel für eine konservative, religiös durchdrungene Deutung des Zusammenbruchs des Dritten Reichs. Sigurd verurteilt das NS-Regime als gottlos, moralisch verwerflich und letztlich zerstörerisch für das deutsche Volk. Er betrachtet den 8. Mai 1945 nicht als totale Niederlage, sondern als göttlich gelenkten Wendepunkt – eine Haltung, die im unmittelbaren Nachkriegsdeutschland nicht selbstverständlich war.
Zwischen Lazarett und Heimatverlust. Nach seiner Rückkehr aus amerikanischer Internierung am 21. Mai 1945 fand Sigurd von der Schulenburg das Schloss Angern in einem Zustand vor, der das gesamte Ausmaß der kriegsbedingten Umwälzungen widerspiegelte. In den letzten Kriegsmonaten und unmittelbar nach der Kapitulation am 8. Mai 1945 war das Herrenhaus – wie viele adlige Gutsbesitze in Mitteldeutschland – militärisch und zivil umfunktioniert worden : Es diente als Lazarett für verwundete deutsche Kriegsgefangene , anschließend als ziviles Krankenhaus mit einer Frauenklinik (es wurden dort mehrere Kinder geboren, drei Frauen starben), und als Unterkunft für ausgebombte Zivilisten und Evakuierte .
Zwischen Hoffnung, Kontrollverlust und Angst. Das Jahr 1945 markiert einen tiefgreifenden Wendepunkt in der deutschen Geschichte. Das Ende des Zweiten Weltkriegs bringt nicht nur militärische Niederlage, sondern auch einen politischen und gesellschaftlichen Umbruch mit sich. Im Mittelpunkt dieser Publikation steht das Dorf Angern in der Altmark und insbesondere das Tagebuch von Sigurd Wilhelm Christoph Daniel Graf von der Schulenburg, letzter Fideikommissherr auf Schloss Angern. Seine Aufzeichnungen zwischen Mai und August 1945 geben einen authentischen Einblick in die Erfahrungen der Besatzungszeit, den Wechsel der Machtverhältnisse und die tiefgreifenden psychologischen Auswirkungen auf die dort lebende Bevölkerung.
Zwischen Furcht und Fassung. Besonders eindrücklich schildert das Tagebuch den Umgang mit der heranrückenden Roten Armee – zwischen tief verwurzelter Angst, beobachteter Realität und ideologisch-religiös geprägten Deutungsmustern. Das Tagebuch des Grafen Sigurd Wilhelm Christoph Daniel von der Schulenburg aus dem Jahr 1945 (Gutsarchiv Angern) dokumentiert ein ambivalentes Erleben der sowjetischen Besatzung. Zwischen tiefer Angst und beobachteter Zurückhaltung, zwischen individueller Erleichterung und kollektiver Verzweiflung, entwickelt sich ein Spannungsfeld, das für viele Menschen in der SBZ typisch war. Das persönliche Zeugnis des Grafen von der Schulenburg ist dabei nicht nur ein historisches Dokument, sondern auch ein Spiegel des inneren Ringens einer untergehenden gesellschaftlichen Ordnung mit einer neuen, fremden Macht.
In wenigen Monaten wurde aus einem aristokratischen Gutsbesitzer ein Entrechteter, dessen geistiger Widerstand sich auf Worte und Gebete beschränkte. Sein Tagebuch dokumentiert eindringlich die Sprachlosigkeit des alten Deutschlands gegenüber der neuen Machtstruktur , aber auch die Unfähigkeit , sich mit ihr zu arrangieren oder sie als Teil einer gerechteren Zukunft zu verstehen. Die politische Lage in Mitteldeutschland im Jahr 1945 war durch einen tiefgreifenden Umbruch geprägt.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Das wirtschaftliche Leben in Mitteldeutschland 1945 war geprägt von Mangel, Improvisation und politisch gesteuertem Umbruch . Die traditionelle Agrarstruktur wurde aufgelöst, ohne dass ein stabiles neues System bereits funktionierte. Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs am 8. Mai 1945 lag die deutsche Wirtschaft weitgehend am Boden: Verkehrswege waren zerstört , Versorgungsketten unterbrochen , Währungs- und Preissysteme kollabiert , und in der Landwirtschaft herrschte akute Personalnot. Die zentrale Industrieproduktion war zusammengebrochen, die Städte waren vielfach ausgebrannt – und auf dem Land fehlten Arbeitskräfte, Maschinen, Zugtiere und Treibstoff.
Das kulturelle Leben in Sigurd von der Schulenburgs Tagebuchaufzeichnungen nach dem Mai 1945 ist bemerkenswert – insbesondere vor dem Hintergrund der Nachkriegswirren, der Angst vor der sowjetischen Besatzung und der materiellen Not.
Die Tagebuchaufzeichnungen von Graf Sigurd Wilhelm Christoph Daniel von der Schulenburg-Angern aus dem Jahr 1945 dokumentieren eindrucksvoll die tiefgreifenden gesellschaftlichen und politischen Umwälzungen in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) . Ein zentrales Thema dabei ist die Bodenreform und die entschädigungslose Enteignung von Großgrundbesitzern wie der Familie von der Schulenburg. Die Bodenreform von 1945 war eine der folgenreichsten politischen Maßnahmen in der sowjetischen Besatzungszone. Für Familien wie die von der Schulenburg bedeutete sie nicht nur den wirtschaftlichen Zusammenbruch, sondern auch den Verlust ihrer angestammten Rolle in der Gesellschaft.
Am 4. Januar 1946 verließ Sigurd Wilhelm Christoph Daniel Graf von der Schulenburg gemeinsam mit seiner Familie das Schloss Angern – nach 498 Jahren ununterbrochener Familientradition an diesem Ort. Der Abschied war nicht Flucht im herkömmlichen Sinne, sondern eine Zwangsausweisung durch die sowjetische Besatzungsmacht, formell eingeleitet durch eine schriftliche Verfügung vom 29. Dezember 1945 im Rahmen der kommunistisch gesteuerten Bodenreform.