Die Burg Angern war eine wasserumwehrte Niederungsburg in der Altmark, bestehend aus einer Hauptinsel mit Wohn- und Wehrbauten, einer vorgelagerten Turminsel mit Bergfried und einer festländischen Vorburg mit Wirtschaftsgebäuden. Ihre strategische Lage unweit der Elbe verlieh ihr sowohl militärische Bedeutung als auch wirtschaftliche Funktion innerhalb des erzbischöflichen Machtbereichs Magdeburgs.
Die Südseite der Hauptburg von Angern markiert in der spätmittelalterlichen Ausbaustufe einen der wehrtechnisch sensibelsten und zugleich baulich klar strukturierten Abschnitte der Anlage. Sie liegt der Turminsel zugewandt, von dieser durch einen etwa fünf Meter breiten Wassergraben getrennt. Diese klare Trennung diente der strategischen Aufteilung zwischen Verteidigung (Turm) und Verwaltung / Repräsentation (Hauptburg) und ermöglichte im Verteidigungsfall eine doppelte Kontrolle: Erst musste der Turm überwunden werden, dann die Brücke zur Hauptburg.
Der südliche Zugang zur Hauptburg erfolgte über eine schmale, erhöhte Holzbrücke, die vom erhöhten Eingang des Bergfrieds ausging und auf direktem Weg zur Türöffnung im ersten Obergeschoss der Südseite der Hauptburg führte. Diese Tür lag leicht zurückversetzt im Mauerwerk, vermutlich innerhalb eines kleinen Vorbaus oder Treppenturms. Der Zugang war dadurch nicht ebenerdig, sondern durch Höhenversatz zusätzlich gesichert.
Der Zugang im ersten Obergeschoss lässt erkennen, dass das Erdgeschoss der Südseite vollständig geschlossen oder nur durch Scharten durchbrochen war. Diese typische spätmittelalterliche Bauweise sollte das Eindringen erschweren und entsprach der Konzeption eines festungsartigen, nur kontrolliert betretbaren Baus.
Die Südseite der Hauptburg war Teil eines viereckigen, fast quadratischen Burgkörpers, mit annähernd 40 × 40 Metern Grundfläche, vermutlich vollständig unterkellert. Die Südwand war massiv aus Bruchstein errichtet, wie die heute noch erhaltenen Sockel- und Gewölbereste nahelegen. Fensteröffnungen im Erdgeschoss fehlten größtenteils oder waren lediglich als Schlitzfenster (Licht- und Verteidigungsscharten) ausgeführt.
Das erste Obergeschoss der Südseite beherbergte vermutlich Nebenräume des Palas oder Wirtschafts- und Verwaltungsräume. Dort lagen vermutlich kleinere Kammern oder Räume, die über einen Flur mit dem östlichen Hauptflügel (Palas) verbunden waren. Aufgrund der Belichtungsarmut nach Süden – durch die direkte Nachbarschaft des Turms und die Enge des Grabens – waren hier nur kleinere, hochliegende Fensterachsen zu erwarten.
Die unmittelbare Nähe zur Turminsel verlieh der Südseite besondere strategische Relevanz:
Der Bergfried erhob sich nur fünf Meter entfernt, sodass ein Beschuss oder eine Beobachtung der Südwand unmittelbar möglich gewesen wäre. Diese Nähe wurde allerdings durch die Eigenständigkeit der Turminsel kompensiert – ein isolierter Vorposten, von dem aus Kommunikation mit der Hauptburg gezielt gesteuert werden konnte.
Die Südseite selbst war nicht repräsentativ gestaltet, sondern betont funktional und defensiv. Hinweise auf Zinnen, Wehrgänge oder Maschikulis auf der Südseite fehlen zwar in den erhaltenen Quellen, sind jedoch aufgrund der geringen Distanz zum Bergfried auch nicht notwendig gewesen: Der Schutz war durch die Staffelung von Graben, Turm und Brücke bereits gegeben.
Im Zuge der Kampfhandlungen von 1631 wurde auch die Südseite schwer beschädigt. Der umfassende Brand der Burganlage – nach dem Rückzug kaiserlicher Truppen – führte zur Aufgabe des alten Gebäudebestandes. In den späteren Quellen heißt es:
„Bei dem anschließenden Brand des Dorfes kommt auch die Burg zu Schaden. Einige Jahre hindurch befindet sich keine lebende Seele am Ort.“
(Publikation Angern 2022, S. 14–15)
In der Dorfchronik heißt es weiter:
„Ein größeres Wohnhaus scheint nicht vorhanden gewesen zu sein. Dafür werden aber die vier Keller und der alte Turm erwähnt.“
(Gutsarchiv, 1737/38)
Diese Aussagen legen nahe, dass auch die tragenden Mauern der Südseite nicht mehr vollständig erhalten waren. Spätere barocke Bauphasen verlegten den Herrschaftsmittelpunkt auf die südlich vorgelagerte Turminsel, womit die Südseite der mittelalterlichen Hauptburg endgültig ihre Funktion verlor.
Die Südseite der Hauptburg von Angern war im Mittelalter eine klar funktionale Verteidigungs- und Zugangsseite, die durch ihre massive Bauweise und die topographische Verbindung zum Wehrturm strategisch stark positioniert war. Sie diente dem kontrollierten Eintritt in die Hauptburg, war jedoch architektonisch zurückhaltend gestaltet. Ihre bauliche Bedeutung endete mit der Zerstörung der Burg 1631, nach der sie nicht wiederhergestellt wurde.
Die Ostseite der Hauptburg von Angern im Mittelalter – Palasfunktion und bauliche Ausgestaltung. Die Ostseite der Hauptburg von Angern bildet in der mittelalterlichen Phase der Anlage vermutlich den repräsentativen Hauptflügel der Kernburg. Topographisch grenzt dieser Flügel unmittelbar an den schmalen Wassergraben zur Turminsel, wobei der Abstand zum Bergfried nach Auswertung der Grundrisslage und der Geländetopographie lediglich rund fünf Meter betrug. Dies erlaubt die Annahme einer funktionalen und symbolischen Verbindung zwischen den beiden architektonischen Hauptkomponenten der Anlage: dem Wehrturm als Zeichen militärischer Präsenz und dem Palas als baulichem Ausdruck herrschaftlicher Repräsentation und Verwaltung.
Die Annahme, dass der östliche Flügel der Hauptburg die Funktion eines Palas hatte, stützt sich auf mehrere Befunde:
Licht- und Wärmeführung: Der Palas ist in mittelalterlichen Burganlagen häufig auf der Süd- oder Ostseite angeordnet, da diese Himmelsrichtungen durch die Belichtung mit Morgen- und Vormittagssonne bevorzugt wurden. In Angern, wo der Hof nach Westen offenliegt, ist die Ostseite der Hauptburg für einen repräsentativen Saalbau gut geeignet, da sie durch die direkte Nachbarschaft zum Bergfried eine symbolische Verstärkung erhält.
Zugangssituation: Der Zugang zur Hauptburg erfolgte im Süden über eine schmale Brücke vom Bergfried her, die laut Auswertung der Fundamente und Mauerzüge auf Höhe des ersten Obergeschosses in das Mauerwerk der Hauptburg mündete. Dies legt nahe, dass der Hauptzugang zur Ostseite – und damit zum Palas – nicht ebenerdig, sondern über eine erhöhte Plattform erfolgte, was typisch für spätmittelalterliche Saalbauten mit Schutzfunktion ist.
Baustruktur: Der Bau selbst dürfte sich aus einem massiven Sockelgeschoss aus Bruchsteinmauerwerk und einem darüber liegenden Fachwerkgeschoss zusammengesetzt haben. Diese zweigeschossige Konstruktion ist in vergleichbaren Anlagen der Region (vgl. Salzwedel, Burg Beetzendorf) für die Zeit zwischen dem 14. und frühen 16. Jahrhundert belegt. Der untere Baukörper war vermutlich tonnengewölbt oder flach gedeckt und diente als Lager- oder Küchentrakt. Das darüber liegende Obergeschoss war dem Aufenthalt vorbehalten und könnte einen großen, einräumigen Palasraum umfasst haben.
Innenarchitektur (rekonstruiert): Der Saal war vermutlich durch eine offene Balkendecke oder eine frühgotische Sparrendachkonstruktion überspannt. Kassettendecken oder stuckierte Vouten, wie sie später im Barockinventar von 1739 genannt werden, sind für das Mittelalter nicht anzunehmen. Die Wände waren vermutlich verputzt und eventuell im Bereich des Dais (der Ehrentribüne) mit gemalten Friesen oder Tüchern geschmückt. Ein gemauerter Kamin, wie er für mittelalterliche Palasräume ab dem 14. Jahrhundert zunehmend üblich war, wäre an der Außenwand Richtung Osten oder zur Hoffassade hin denkbar.
Fensterstruktur: Die Fenster im Obergeschoss der Ostseite waren größer als die Schießscharten des Erdgeschosses, aber noch keine modernen Glasfenster. Wahrscheinlich handelte es sich um zweibahnige Öffnungen, die mit Horn, Pergament oder dünner Ölhaut (in wohlhabenderen Fällen mit Butzenscheiben) verschlossen waren. Die Fenster waren meist mit hölzernen Läden versehen, deren Funktion sowohl Lichtregulation als auch Verteidigung diente.
Nutzung und Symbolik: Als Palas war dieser Bau nicht nur Wohnraum des Burgherren, sondern auch Verhandlungs- und Repräsentationsort. Hier wurden Urkunden erstellt, Gäste empfangen und Gericht gehalten. Die Nähe zum Bergfried verstärkt diese Rolle symbolisch: Während der Turm Schutz bot, war der Saal der Ort der Ordnung, Gastfreundschaft und Verwaltung.
Die Ostseite der Hauptburg von Angern war im Mittelalter mit hoher Wahrscheinlichkeit der Standort des Palas – des zentralen Saalbaus mit herrschaftlicher Funktion. Die bauliche Nähe zum Bergfried, die Höhenlage des Zugangs sowie die architektonischen und funktionalen Indizien sprechen für eine differenzierte Nutzung dieses Flügels. Im Zusammenspiel von Wehrhaftigkeit, Repräsentation und Verwaltung manifestiert sich hier das Selbstverständnis einer spätmittelalterlichen Adelsburg als Herrschafts- und Lebensraum zugleich.
Die Hauptburg selbst kann als typischer Mehrflügelbau um einen Innenhof interpretiert werden. Die Bebauung bestand wahrscheinlich aus einem Palas an der Südseite, Wirtschaftsgebäuden an den Schmalseiten und einem Zugangsbauwerk mit Verbindung zur Brücke an der Nordseite. Besonders bedeutsam ist, dass sich die erhaltenen Tonnengewölbe unter dem heutigen Ostflügel der Hauptburg befinden und somit ein direktes bauliches Kontinuum zur mittelalterlichen Substanz herstellen[5]. Auch die Außenmauern der ersten Etage der Hauptburg sind vollständig erhalten. Sie bestehen aus Bruchsteinmauerwerk, das in späterer Zeit abschnittsweise mit Ziegel ausgebessert wurde. Dieser Materialwechsel ist bis heute deutlich ablesbar und belegt die fortlaufende Nutzung und Reparatur der Anlage. Die Erhaltung dieser Außenstruktur ermöglicht eine verlässliche Rekonstruktion des ursprünglichen Bauvolumens und der Verteidigungsarchitektur.
Die Burganlage von Angern in der heutigen Altmark, Sachsen-Anhalt, stellt ein bemerkenswertes Beispiel für eine mittelalterliche Wasserburg im nördlichen Mitteleuropa dar. Ihre Geschichte spiegelt nicht nur die regionalen Machtverhältnisse vom 14. bis zum 17. Jahrhundert wider, sondern erlaubt auch wichtige Rückschlüsse auf die baugeschichtliche Entwicklung, funktionale Differenzierung und soziale Struktur adliger Herrschaft im ländlich geprägten Raum. Ziel dieser Untersuchung ist es, die architektonische Struktur, die Besitzgeschichte und die Nutzung der Burg bis zur Zerstörung im Dreißigjährigen Krieg systematisch darzustellen und auf Basis historischer Quellen sowie bauarchäologischer Befunde zu rekonstruieren.
Im 14. Jahrhundert war die Altmark Schauplatz konkurrierender Herrschaftsansprüche. Die Markgrafen von Brandenburg, das Erzbistum Magdeburg und verschiedene Adelsfamilien wie die von Alvensleben und von Grieben rangen um Besitz, Lehensrechte und lokale Macht. Die Gründung der Burg in Angern diente der Erzdiözese Magdeburg zur militärischen Sicherung und verwaltungstechnischen Kontrolle ihrer südaltmärkischen Besitzungen. Die Anlage einer Wasserburg mit Wehr- und Wohnfunktion manifestierte die landesherrliche Präsenz in einem territorial instabilen Raum.
Die Burg Angern befand sich in der nordöstlichen Altmark, etwa 5 Kilometer westlich der Elbe, in einer feuchten Niederungslandschaft, die durch zahlreiche Altarme, sumpfige Wiesen und temporäre Überflutungsflächen geprägt war. Die Wahl dieses Standorts war sowohl durch defensive als auch durch infrastrukturelle Überlegungen motiviert. Die Anlage nutzte die natürlichen Gegebenheiten der Landschaft, um durch Wassergräben, Inselbildung und kontrollierte Wegeführung ein hohes Maß an Wehrhaftigkeit zu erzielen. Zugleich ermöglichte die Lage zwischen Magdeburg, Tangermünde, Rogätz und Wolmirstedt die Einbindung in überregionale Verkehrs- und Kommunikationsnetze.
Die bauliche Entwicklung der Burg Angern lässt sich in mehreren Phasen vom Hochmittelalter bis zur Zerstörung im Dreißigjährigen Krieg nachzeichnen. Die Anlage vereinte typische Merkmale einer wasserumwehrten Adelsburg in der norddeutschen Tiefebene: Inselfestung, Verteidigungsstruktur, Wirtschaftseinheit und Repräsentationsort. Das zentrale Element war die vollständig von Wassergräben umgebene Hauptburginsel, ergänzt durch eine südlich vorgelagerte Turminsel und eine festlandseitige Vorburg.