Die vertikale Erschließung mittelalterlicher Palasbauten erfolgte in der Regel über fest eingebaute Innentreppen, die sowohl funktionale als auch symbolische Bedeutung trugen. In der Burg Angern hat sich eine solche Treppenanlage im Palas erhalten, die vom tonnengewölbten Erdgeschoss in das Obergeschoss führte. Die Treppe befindet sich rechts vom Haupteingang des Palas und ist in das originale Mauerwerk integriert. Ihre Lage, Konstruktion und Materialität sprechen für eine bauzeitliche Entstehung um 1340 und machen sie zu einem bedeutenden Zeugnis hochmittelalterlicher Wohnarchitektur in der norddeutschen Tiefebene. Die folgende Befundanalyse untersucht die baulichen Merkmale dieser Treppe im Hinblick auf ihre Funktion, Einbindung und zeittypische Ausführung.
Treppe vom Erdgeschoss des Palas in die erste Etage
Lage und Kontext
Die untersuchte Treppenanlage befindet rechts vom Hauptzugang vom Innenenhof, und stellt den ursprünglichen, offiziellen Aufgang vom tonnengewölbten Erdgeschoss in das erste Obergeschoss dar. Sie ist unmittelbar vom zentralen Flurbereich des Erdgeschosses aus zugänglich und verbindet den wirtschaftlich genutzten unteren Gewölberaum mit dem darüberliegenden Wohn- und Repräsentationsgeschoss.
Baubefund und Material
Die Treppe besteht aus massiv gearbeiteten Sandsteinstufen, die in eine beidseitig gemauerte Ziegelwand eingefasst sind. Die Stufen sind gleichmäßig in der Steigung, mit sichtbaren Abnutzungsspuren an den Trittflächen, was auf eine längere Nutzung in situ schließen lässt. Die Ziegelfassung besteht aus zweischaligem, in Kalkmörtel gesetztem Backsteinmauerwerk, das bauzeitlich oder zumindest frühneuzeitlich einzuordnen ist. Die Wangen der Treppe folgen einer regelmäßig gemauerten, leicht geneigten Wandflucht ohne erkennbare spätere Verstärkungen oder Umbauten. Die Treppe im Palas der Burg Angern weist kein sichtbares Mischmauerwerk (opus mixtum) auf, weil sie nicht Teil einer tragenden Außen- oder Trennwand ist, sondern eine sekundäre Einbautenstruktur innerhalb eines bereits vorhandenen Mauerwerkskörpers darstellt.
Bauhistorische Einordnung
Die im Eingangsbereich des Palas erhaltene Sandsteintreppe stellt ein zentrales bauliches Erschließungselement zwischen dem Erdgeschoss und den oberen Wohngeschossen dar. Aufgrund der Materialkombination aus massiven Sandsteinstufen, eingefasst in ein funktional gemauertes Ziegelgewölbe, sowie der handwerklich präzisen Ausarbeitung ist eine hochmittelalterliche Entstehung wahrscheinlich. Die Treppe fügt sich sowohl in die Baulogik als auch in die sicherheitstechnische Konzeption der Gesamtanlage ein.
Die Ausführung als innenliegende, gewölbte Hauptverbindungstreppe entspricht typologisch den bekannten Erschließungslösungen des 14. Jahrhunderts. Vergleichbare Befunde finden sich etwa in der Burg Ziesar (Brandenburg) oder in Beetzendorf (Altmark), wo steil verlaufende Sandsteinstufen unter Gewölbeüberfang das Erdgeschoss mit den repräsentativen Obergeschossen verbinden. Die Verwendung von massivem Sandstein als Trittmaterial verweist auf die dauerhafte Nutzung und besondere funktionale Bedeutung des Aufgangs innerhalb des Palas.
Die Stufen zeigen deutliche Abnutzungsspuren, jedoch keine Hinweise auf barocke oder moderne Erneuerungen. Auch die geringe Breite, die steile Steigung und die Einbindung in die originale Wandstruktur des Erdgeschosses sprechen gegen eine spätere barocke Neuinterpretation. Aus baugeschichtlicher Sicht handelt es sich somit mit hoher Wahrscheinlichkeit um ein bauzeitliches oder sehr frühzeitig angelegtes Element, das in seiner Funktion, Lage und Ausführung den hochmittelalterlichen Standards für landadelige Wohnbauten entspricht.
Funktion und Bedeutung
Die Treppe bildete den zentralen vertikalen Erschließungspunkt des Palas und erlaubte den direkten Wechsel vom Erdgeschoss – mit seinen Vorrats- und Funktionsräumen – in das repräsentative Obergeschoss. Ihre Lage unmittelbar neben dem Eingang vom Innenhof verweist auf eine kontrollierte Zugangssituation und unterstreicht die klare funktionale Gliederung der Geschosse. Der Einsatz hochwertiger Materialien und die solide bauliche Ausführung machen deutlich, dass es sich um ein dauerhaft angelegtes Strukturelement handelt, nicht um eine nachträgliche Ergänzung.
Die schlichte Ausführung der Treppe im Palas der Burg Angern ist ein charakteristisches Merkmal hochmittelalterlicher Profanarchitektur im ländlichen Raum. Anstelle aufwändiger Gestaltung oder repräsentativer Elemente dominiert hier der funktionale Aspekt: Die Treppenläufe sind schmal, die Stufen aus einfachen Ziegel- oder Mischmauerwerk ohne Profilierung oder Verzierungen gefertigt. Solche nüchternen Lösungen sind typisch für Burgen, die nicht primär für herrschaftliche Inszenierung, sondern für Verwaltung und Verteidigung konzipiert waren. Die Treppe spiegelt damit den pragmatischen, wirtschaftlich optimierten Bauansatz wider, wie er für den Burgenbau des 14. Jahrhunderts in der Altmark vielfach belegt ist (vgl. Wäscher 1962; Dehio 2002).
Fazit
Die Treppenanlage ist vermutlich bauzeitlich (um 1340) und fügt sich überzeugend in die mittelalterliche Erschließungsstruktur des Palas ein. Eine endgültige Datierung wäre jedoch nur durch eine bauarchäologische Untersuchung der Einbindung in die Wandstruktur und der Mörtelverbindungen möglich. Eine bauarchäologische Detailvermessung und Materialanalyse könnte weitere Aufschlüsse zur exakten Datierung und Nutzungsgeschichte bieten. Die Treppe stellt ein authentisches und baulich intaktes Beispiel für hochmittelalterliche Erschließungselemente im Profanbau dar. Ihre Analyse liefert wertvolle Hinweise zur ursprünglichen Raumnutzung, zur inneren Organisation der Burg sowie zur handwerklichen Bauweise im mitteldeutschen Burgenbau des 14. Jahrhunderts.
Quellen
- Eigene Befundaufnahme 2024–2025
- Dehio, Georg: Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler. Brandenburg, München 2000, S. 11 (Burg Ziesar)
- Grimm, Paul: Die vor- und frühgeschichtlichen Burgwälle der Bezirke Halle und Magdeburg, Berlin 1958, S. 360 (Beetzendorf)
- Schmitt, Reinhard: "Befunde und Deutungen zu Keller- und Gangsystemen in mittelalterlichen Burgen", in: Burgen und Schlösser in Sachsen-Anhalt, Bd. 14 (2005)