Patrimonialgerichtsbarkeit im frühneuzeitlichen Brandenburg-Preußen: Struktur, Praxis und Herrschaftsanspruch. Die Patrimonialgerichtsbarkeit war ein zentrales Element adliger Herrschaft im frühneuzeitlichen Heiligen Römischen Reich und überdauerte in manchen Regionen bis in das 19. Jahrhundert. Insbesondere im Kurfürstentum Brandenburg und späteren Königreich Preußen stellte sie ein wesentliches Bindeglied zwischen Grundherrschaft, ländlicher Verwaltung und Rechtsprechung dar. Anhand des umfangreichen Quellenbestandes im Gutsarchiv Angern (Bestand H 13), insbesondere der Dorfordnung (Nr. 139), der Gerichtsprotokolle (Nr. 125–126), der Scharfrichterverträge (Nr. 122–124) und der Hut- und Triftsachen (Nr. 155–158), lässt sich die konkrete Ausgestaltung dieser Herrschaftsform exemplarisch rekonstruieren.
Definition und rechtliche Grundlagen
Das Patrimonialgericht war eine institutionelle Einrichtung des frühneuzeitlichen Feudalstaates, die es Grund- und Landherren erlaubte, im eigenen Herrschaftsbereich eigenständige Gerichtsbarkeit auszuüben. Diese Gerichtsbarkeit umfasste typischerweise die niedere Gerichtsbarkeit, also Zivil-, Straf- und Verwaltungsangelegenheiten auf lokaler Ebene, häufig auch Vollstreckungs- und Polizeibefugnisse. Der Begriff „patrimonial“ verweist auf das „Patrimonium“, das ererbte oder erworbene Grundvermögen, und unterstreicht die enge Verknüpfung von Eigentum und Gerichtshoheit.
In Deutschland war das Patrimonialgericht besonders im ostelbischen Raum verbreitet, wo die Landesherrschaft auf weitläufigen adligen Herrschaftsgebieten oft nur indirekt ausgeübt wurde. So bestanden beispielsweise in Brandenburg-Preußen, Sachsen und Teilen Pommerns solche Gerichte als integrale Bestandteile des Feudalsystems. Die Gutsherren agierten dabei als Richter, Verwaltungsbeamte und Wirtschaftsverwalter zugleich – eine Dreifachfunktion, die in der frühen Neuzeit kaum voneinander getrennt war (Behrend 2006, S. 112).
Ein prominentes Beispiel außerhalb Angerns sind die Patrimonialgerichte im sächsischen Erzgebirge, die bis ins 19. Jahrhundert eigenständige Gerichtsbarkeiten über Bergleute und Bürger ausübten (Winkler 1994). Auch in Schwaben existierten Patrimonialgerichte, die auf den Territorialrechten von Adelsfamilien basierten und örtliche Konflikte regelten (Schindling 1987).
Rechtlich unterlagen diese Gerichte zwar der Oberhoheit des Landesherrn, verfügten aber über ein relativ hohes Maß an Autonomie. In Brandenburg-Preußen waren sie durch das Allgemeine Landrecht und besondere Lehnsverträge formalisiert, wobei die Landesherrschaft Appellationsrechte wahrnahm und teilweise kontrollierend eingriff (Conrad 2002). Diese Mehrstufigkeit führte oft zu Spannungen zwischen der lokalen Gutsherrschaft und den Zentralbehörden, insbesondere wenn Fragen der Rechtsprechung und Verwaltung kollidierten.
Die Rolle des Oberamtmanns Croon am Gut Angern illustriert diese komplexe Verflechtung. Croon übte nicht nur wirtschaftliche und administrative Funktionen aus, sondern war zugleich Träger der patrimonialen Niedergerichtsbarkeit. Seine individuelle Vergütung, die ihn als vertrauenswürdigen und eigenverantwortlichen Akteur ausweist, sowie seine Befugnis zur Führung von Haus- und Hypothekenbüchern, zeigen die umfassende Verantwortlichkeit und Professionalität dieser Position.
Parallel hierzu entwickelte sich im 18. Jahrhundert ein Trend zur Institutionalisierung und Bürokratisierung der Gutsverwaltung. Während zentrale staatliche Behörden ihre Justizkompetenzen ausweiteten, blieben Patrimonialgerichte vor allem in ländlichen Regionen zunächst wichtige Machtinstrumente des Adels. Erst mit den preußischen Reformen im 19. Jahrhundert, insbesondere mit der Einführung einheitlicher Gerichtsordnungen und der Trennung von Verwaltung und Rechtsprechung (z. B. Gerichtsverfassungsgesetz 1877), wurden sie sukzessive abgeschafft.
Insgesamt stellt das Patrimonialgericht ein bedeutendes Bindeglied zwischen vormodernen Herrschaftsformen und moderner staatlicher Rechtsordnung dar. Seine Analyse bietet wichtige Einblicke in die Machtstrukturen, die Verwaltungspraxis und die soziale Organisation des 18. Jahrhunderts.
Der Dorf-Articul von Angern – Normierung im lokalen Rahmen
Ein besonders aufschlussreiches Beispiel für die normative Selbstgesetzgebung eines patrimonialen Gerichtsherrn ist der sogenannte Dorf-Articul von Christoph Daniel von der Schulenburg (Rep H 13, Nr. 139), der vermutlich um die Mitte des 18. Jahrhunderts erlassen wurde. Diese Ordnung umfasst über 100 Paragraphen und regelt detailliert das Alltagsleben in den Dörfern Angern, Wenddorf und Bülitz. Sie enthält Vorschriften zur Frömmigkeit, Schulpflicht, Eheordnung, Grenznutzung, Strafandrohungen sowie zum Wirtschaftsleben und verweist explizit auf die Magdeburgische Polizeiordnung als normativen Rahmen. Die Formulierung „nach der gerechten Willensmeinung Sr. Kgl. Maj. in Preußen…“ signalisiert, dass der Dorf-Articul als lokale Konkretisierung landesherrlicher Ordnungsvorgaben zu verstehen ist【vgl. Magdeburgische Polizeiordnung, P. III. N. 150】.
Gerichtsstube und Repositorium – Räume der Herrschaftsausübung
Die Umsetzung dieser Normen erfolgte durch die im Schloss Angern befindliche Gerichtsstube, die laut Inventar von 1752 (Rep. H 76) mit Tisch, Aktenmöbel (Repositorium) und Schlafstatt für den Gerichtshalter ausgestattet war. Diese Einrichtung fungierte als zentrale Schaltstelle zwischen Norm und Praxis. Hier wurden Gerichtsprotokolle geführt (H 13, Nr. 125–126), Kontrakte beurkundet, Nachlässe geregelt (Nr. 132–138) und Urteile gefällt. Die Existenz eines Repositoriums verweist auf den frühen Aufbau eines geordneten Archivwesens, das die Schriftlichkeit und Kontinuität patrimonialer Gerichtsherrschaft sicherte【vgl. Stolleis, 2002】.
Gerichtspraxis: Strafvollzug und Scharfrichterei
In Fällen schwerer Vergehen kam in Angern die Scharfrichterei als zentrales Exekutivinstrument zum Einsatz. Die einschlägigen Unterlagen zur Scharfrichterei (H 13, Nr. 122–124) belegen eindrücklich, dass der Schulenburgische Gerichtsbezirk über eigenes, vertraglich gebundenes Vollzugspersonal verfügte. Im Zusammenhang mit den überlieferten Strafgerichtsakten (H 13, Nr. 127–129) zeigt sich, dass auf dem Gut nicht nur Todes- und Körperstrafen verhängt, sondern auch tatsächlich vollstreckt wurden – ein deutliches Zeichen für die fortbestehende Ausübung des mittelalterlichen Blutbanns bis tief in die Frühe Neuzeit. Gleichzeitig lassen die Quellen eine allmähliche Verschiebung hin zu einer rationalisierten Strafpraxis erkennen, in der Geldbußen und Ersatzleistungen zunehmend an die Stelle körperlicher Züchtigung traten.
Die Bestellung von Scharfrichtern, Abdeckern und die Festsetzung ihrer Diensteinkünfte zeigen, wie tiefgreifend das Strafrecht in die Dorfgesellschaft hineinreichte. Der Dorf-Articul sah bei Gotteslästerung, Ehebruch oder Viehdiebstahl drastische Strafen vor – bis hin zur Todesstrafe, die im Prozess gegen Hans Wierstorp wegen Viehdiebstahls (H 13, Nr. 127) verhängt wurde. Damit wird deutlich, dass das patrimoniale Gerichtswesen nicht nur normierte, sondern mit tatsächlicher Gewaltandrohung und -ausübung verbunden war【vgl. Groß, 2011】.Die im Gutsarchiv Angern überlieferten Dokumente zur Patrimonialgerichtsbarkeit und der Scharfrichterei (H 13, Nr. 122–124) bieten einen aufschlussreichen Einblick in die strafrechtliche Infrastruktur eines patrimonialen Gerichtsbezirks im 18. und frühen 19. Jahrhundert. Die Scharfrichterei zu Angern war – wie viele vergleichbare Einrichtungen im ländlichen Preußen – nicht nur für die Vollstreckung von Todesurteilen zuständig, sondern übernahm auch Funktionen in der öffentlichen Ordnungspflege, insbesondere als Abdecker (Tierkörperverwertung), was ihren doppelten Status zwischen notwendiger Obrigkeit und sozialer Randständigkeit kennzeichnet. Die Akte H 13, Nr. 122 (1617–1770) dokumentiert vertragliche Regelungen über die Bestellung und Bezahlung des Scharfrichters, während H 13, Nr. 123 konkret die Bestellung eines neuen Scharfrichters im Jahr 1738 wohl durch Christoph Daniel v.d. Schulenburg bezeugt – ein Hinweis auf die fortlaufende Erneuerung und Bestätigung dieser Dienstverhältnisse durch den Gutsherrn selbst. Besonders aufschlussreich ist H 13, Nr. 124 aus dem Jahr 1808, das unter dem Eindruck der neu eingeführten Gewerbefreiheit die Neufestsetzung des Zinses für den Scharfrichter und Abdecker Daniel Katzenellenbogen enthält. Diese Quelle zeigt, dass auch in einer Zeit tiefgreifender rechtlicher Umbrüche – etwa durch die preußischen Reformen – das Gut Angern an traditionellen Strukturen festhielt, zugleich aber Anpassungen an neue Rahmenbedingungen vornahm. Die Benennung Katzenellenbogens, eines Trägers eines typischen Namens für sogenannte „unehrliche“ Berufe, verweist zudem auf die soziale Ausgrenzung dieser Berufsgruppe innerhalb der Dorfgesellschaft, deren Dienste jedoch unabdingbar waren. Die Existenz dieser Akten unterstreicht, dass der Schulenburgische Gerichtsherr nicht nur normativ (etwa im Dorf-Articul), sondern auch personell-institutionell über ein vollständig ausgestattetes Justizsystem verfügte – mit eigener Gerichtsstube, Gerichtshalter und Hinrichtungsgewalt. Sie belegen zugleich die Verzahnung von Strafrecht, ökonomischer Praxis und obrigkeitlicher Fürsorge im Rahmen der Patrimonialgerichtsbarkeit.
Strafgerichtsbarkeit: Der Kriminalfall um Hans Bierstorpff, dokumentiert in der Inquisitionsakte von 1688 (Gutsarchiv Angern, Signatur H 13, Nr. 1228: Acta Inquisitionalia contra Hans Bierstorpff, 1688), lässt sich als frühes Beispiel jener herrschaftlichen Strafgerichtsbarkeit deuten, die später in der speziell dafür eingerichteten Gerichtsstube des Schlosses Angern institutionell verankert wurde. Während der Fall Bierstorpff noch im Rahmen einer mobilen oder improvisierten Verhandlungsstruktur – etwa im Saal oder Amtszimmer des Gutsherren – geführt worden sein dürfte, markiert die später überlieferte Gerichtsstube im Ostflügel einen baulich und funktional gefassten Ort für die Ausübung lokaler Justiz. Die Kontinuität zwischen dem Fall Bierstorpff und der späteren Gerichtsstube zeigt, wie sich aus singulären Strafverfahren langfristige institutionelle Strukturen adliger Gerichtsausübung herausbildeten.
Verwaltungsgerichtsbarkeit und Gemeindekonflikte
Ein weiterer Aufgabenbereich patrimonialer Gerichtsbarkeit bestand in der Regelung von Gemeindekonflikten, etwa über Grenzverläufe, Gemeinweiden oder Pachtverhältnisse. Der Bestand H 13 enthält zahlreiche Klagen der Gemeinden Angern und Wenddorf über Triftrechte (Nr. 155–158), kommunale Beschwerden (Nr. 140–149) und Steuerfragen. Diese Vorgänge dokumentieren, wie der Gutsherr nicht nur oberster Richter, sondern auch Mediator und Machtfaktor in Gemeindeangelegenheiten war – eine Rolle, die tief in das Alltagsleben hineinreichte.
Auflösung der Patrimonialgerichtsbarkeit und Übergang zur staatlichen Justiz
Die Patrimonialgerichtsbarkeit als Ausdruck adliger Hoheitsrechte wurde in Preußen zu Beginn des 19. Jahrhunderts schrittweise aufgehoben. Hintergrund war die Reformpolitik der preußischen Regierung nach 1806, die unter anderem die Trennung von Justiz und Verwaltung sowie eine einheitliche, vom Staat kontrollierte Gerichtsbarkeit zum Ziel hatte. In der grundlegenden „Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Patrimonialgerichtsbarkeit“ vom 17. Juli 1820 heißt es ausdrücklich:
„Da die Patrimonialgerichtsbarkeit keine dem Staate fremde, sondern eine ihm einverleibte ist, so steht es der königlichen Regierung zu, sie ihrer ursprünglichen Bestimmung gemäß einzurichten, zu beaufsichtigen und, wo sie zweckwidrig verwaltet wird, aufzuheben“ (Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, Nr. 33, 1820, S. 293).
Damit wurde klargestellt, dass das Recht auf Gerichtsbarkeit nicht länger ein durch Grundbesitz legitimiertes Herrschaftsprivileg, sondern eine aus dem Staat abgeleitete Funktion sei. Patrimonialgerichte konnten fortbestehen, mussten sich jedoch einer staatlichen Inspektion unterziehen und qualifiziertes Personal nachweisen. Die meisten adligen Gerichtsherren – insbesondere dort, wo der Ertrag gering oder die rechtliche Verwaltung zu aufwändig war – gaben ihre Gerichtsbarkeit gegen eine staatliche Ablösesumme auf.
Im Fall Angern zeigen die letzten Einträge im Gutsarchiv (z. B. H 13, Nr. 138) noch bis 1821 Klagen und Urteile aus Zivilsachen, etwa im Zusammenhang mit Schuldforderungen, Pacht- und Erbschaftsstreitigkeiten. Danach bricht die Serie ab – ein klarer Hinweis auf die Einziehung der Gerichtshoheit durch den Staat. Auch die bislang genutzte Gerichtsstube im Schloss Angern verliert damit ihre institutionelle Funktion und wird beim Umbau durch Edo Graf v.d. Schulenburg in ein Personaltrakt umgewandelt. Die Verordnung von 1820 sah in § 29 zudem vor, dass alle gerichtlichen Register, Akten und Siegel dem Land- oder Kreisgericht zu übergeben seien:
„Sämtliche Gerichtsprotokolle, Hypothekenbücher, und gerichtliche Akten sind nach Aufhebung des Patrimonialgerichts versiegelt und dem zuständigen königlichen Gericht zuzustellen“ (ebd., § 29, S. 301).
Viele dieser Dokumente verblieben jedoch – wie im Fall Angern – in den Privatarchiven der Familien, insbesondere wenn es sich um wirtschaftsrelevante oder genealogisch bedeutsame Unterlagen handelte. Heute ist der Bestand H 13 (Gutsarchiv Angern) Teil der Überlieferung und dokumentiert damit nicht nur die Praxis, sondern auch die schrittweise Integration adliger Gerichtsbarkeit in die preußische Staatsorganisation. Mit der Justizreform von 1849, im Zuge der Revolutionen von 1848/49, wurde die Patrimonialgerichtsbarkeit auch formal aufgelöst. Der preußische Landtag verabschiedete ein Gesetz, das den Grundsatz der Einheit der Gerichte und der Trennung von Privatherrschaft und Rechtsprechung festschrieb. Damit endete ein fast halbes Jahrtausend adliger Gerichtsbarkeit in vielen Regionen des Reichs – nicht abrupt, aber unumkehrbar.
Akteure und Abläufe patrimonialer Rechtsprechung im Gutsbereich Angern
Die patrimoniale Gerichtsbarkeit beruhte nicht allein auf der Autorität des adligen Gerichtsherrn, sondern war in ein Gefüge lokaler Ämter und ritueller Praktiken eingebettet. Der Bestand des Gutsarchivs Angern erlaubt es, die soziale Logik dieser Institution anhand konkreter Rollen und Verfahren sichtbar zu machen.
Der Oberamtmann: Leiter von Verwaltung, Rechtsprechung und Wirtschaft
Der Oberamtmann Croon am Rittergut Angern vereinte im 18. Jahrhundert zentrale Funktionen von Verwaltung, Gerichtsbarkeit und Wirtschaft in einer Person. Er leitete nicht nur die wirtschaftlichen Belange des Guts, überwachte Pachtverträge und steuerte Einnahmen, sondern übte auch die patrimonialgerichtliche Niedergerichtsbarkeit aus, indem er Gerichtstage einberief, Urteile fällte und deren Vollstreckung sicherstellte. Sein individuelles Vergütungsmodell – Verzicht auf ein festes Gehalt zugunsten einer jährlichen Verzinsung des eingesetzten Kapitals – verdeutlicht das Vertrauen des Gutsherrn in seine Loyalität und Kompetenz. Croon verfügte zudem über einen eigenen Haushalt mit zugeordnetem Gesindepersonal, was seine soziale Autonomie unterstrich. Seine Tätigkeit reichte über das lokale Gut hinaus: So belegt eine Akte von 1762, dass er juristisch-finanzielle Aufgaben in komplexen, überregionalen Kreditangelegenheiten übernahm. Croon steht exemplarisch für die Professionalisierung der Gutsherrschaft im 18. Jahrhundert, in der Recht, Wirtschaft und Verwaltung zunehmend eng verflochten waren, um die Herrschaft und ökonomische Leistungsfähigkeit des Gutes zu sichern.
Der Gerichtshalter: Administrator und Exekutor
Im Mittelpunkt des gerichtlichen Alltags stand der vom Gutsherrn eingesetzte Gerichtshalter, der in der Gerichtsstube des Schlosses Angern amtierte. Wie das Inventar von 1752 (Rep. H 76) belegt, verfügte die Gerichtsstube über ein Schreibpult, eine Aktenablage (Repositorium) und eine Schlafstatt – Zeichen dafür, dass der Gerichtshalter dauerhaft oder regelmäßig anwesend war. Seine Aufgabe war es, die Protokolle zu führen, Gerichtstage einzuberufen, Urteile umzusetzen und Geld- oder Gefängnisstrafen zu verhängen. Dabei war er faktisch Bindeglied zwischen dem Gerichtsherrn und der Dorfbevölkerung, sowohl als juristischer Vermittler als auch als ausführende Instanz der Ordnungsmacht【vgl. H 13, Nr. 125–126】.
Der Schulze und die Bauermeister: lokale Kontrollorgane
Eine zentrale Rolle im Dorf spielten der Schulze und die jährlich neu gewählten Bauermeister. Der Dorf-Articul verpflichtet sie zur Überwachung der Feuerstätten, der Zäune, Wege und Wiesen (vgl. § 14 und § 3–4), aber auch zur Anzeige aller Vergehen vor der Gerichtsstube. Sie waren somit nicht nur Repräsentanten der Gemeinde, sondern dienten zugleich als Informanten und Kontrollinstanzen im Dienste der Obrigkeit. Ihre Funktion war vergleichbar mit der eines untergeordneten Polizeiapparats – mit dem Schulze als „gerichtlichem Vorposten“ im Dorfgeschehen.
Die Gerichtsversammlung: Prozessrituale und Sozialdisziplinierung
Die Verfahren fanden regelmäßig auf dem Gut oder in der Gerichtsstube statt. Zu einem Gerichtstag mussten die Parteien persönlich erscheinen – das Nichterscheinen wurde gestuft sanktioniert, wie § 5 im Abschnitt „Von denen Untertanen insgesamt“ des Dorf-Articuls festlegt. Auch Beleidigungen im Gerichtssaal waren ausdrücklich verboten (§ 7). Bei komplizierten Fällen konnten auch „christliche, vernünftige und verschwiegene“ Nachbarn beigezogen werden – eine Art Vorform von Laienjuroren oder Schöffen, wie sie auch in der Magdeburgischen Gerichtsordnung vorgesehen waren. Diese ritualisierte Gerichtsöffentlichkeit erfüllte mehrere Funktionen:
- Rechtssicherung (durch Protokollierung)
- Öffentliche Disziplinierung (durch Strafandrohung und -vollzug)
- Reproduktion der Herrschaftsordnung (durch die Sichtbarkeit der Adelsmacht)
Das Gericht war also nicht nur ein juristisches Forum, sondern ein Ort symbolischer Machtentfaltung, in dem soziale Normen durch körperliche Strafen, Geldbußen oder Ausschluss aus der dörflichen Gemeinschaft (z. B. durch Androhung, „mit solchem Bösewicht keine Freundschaft zu halten“) durchgesetzt wurden.
Schriftlichkeit und Gerichtsarchiv
Der patrimoniale Gerichtsapparat war stark aktenzentriert. Verträge mussten im „Gerichtshandelsbuch“ eingetragen und mit dem Gerichtssiegel versehen sein, um Gültigkeit zu erlangen (§ 1 im Abschnitt „Von Kaufen, Verkaufen und anderen Contracten“). Nicht protokollierte Kaufverträge, Pachtverhältnisse oder Lehnbriefwechsel galten als null und nichtig. Die umfangreiche Überlieferung in H 13 (besonders Nr. 122–138, 155–158) zeigt, dass sich im Laufe des 18. Jahrhunderts ein hoch entwickeltes lokales Schriftarchiv herausgebildet hatte, das sowohl verwaltete als auch historische Rechtsansprüche sicherte.
Die Rolle des Oberamtmanns am Beispiel Croon
Der Oberamtmann war im 18. Jahrhundert eine Schlüsselperson in der Organisation und Ausübung der Gutsherrschaft, die ökonomische Verwaltung, Gerichtsbarkeit und soziale Kontrolle in einer Person vereinte. Am Beispiel des Oberamtmanns Croon am Rittergut Angern lassen sich die vielfältigen und komplexen Aufgaben dieser Position exemplarisch darstellen. Croon war nicht nur Verwalter der wirtschaftlichen Ressourcen, sondern zugleich juristischer Repräsentant des Gutsherrn und oberster Vollzugsbeamter in seinem Herrschaftsgebiet. Dies zeigte sich besonders im Streit um den Stelldamm, wo Croon die patrimonialgerichtliche Gewalt nutzte, um die Interessen des Gutsherrn durchzusetzen. Er verfügte über das Recht, Gerichtsverhandlungen zu führen, Urteile zu fällen und Zwangsmaßnahmen gegen Untertanen oder Dritte zu ergreifen – eine Funktion, die eng mit der Sicherung von Pachtverhältnissen und Ressourcenzugängen verbunden war.
Die Quellen aus dem Gutsarchiv dokumentieren Croons umfassende Verantwortlichkeiten. So führte er nicht nur das Haus- und Hypothekenbuch, überwachte Pachtverträge, sondern übernahm auch die juristische Vertretung und die Wirtschaftsaufsicht. Diese umfangreiche Zuständigkeit wurde vertraglich so geregelt, dass Croon auf ein festes Gehalt verzichtete und stattdessen eine jährliche Verzinsung des von Christoph Daniel eingesetzten Kapitals erhielt – ein Modell, das seine hohe Vertrauensstellung und die Bedeutung seiner Position unterstreicht. Darüber hinaus deutet das Vorhandensein von eigenem Gesindepersonal im Verzeichnis auf Croons soziale Autonomie innerhalb der Gutshierarchie hin. Er verfügte über einen eigenen Haushalt, was für die damalige Zeit Ausdruck von Macht, Stand und langfristiger Bindung an den Gutsherrn war.
Croon beklagte, dass seine Einnahmen aus den Sporteln auf maximal 20 Taler jährlich begrenzt wurden, was eine Folge der Justizreglemente war. Früher waren hohe und oft unkontrollierte Einkünfte aus Gerichts- und Verwaltungsgebühren üblich, doch diese wurden im Rahmen der Reformen stark eingeschränkt und unterlagen nun strengen Kontrollen. Für Beamte wie Croon bedeutete das zwar Einkommenseinbußen, zugleich stärkte es jedoch die formale Rechtsstaatlichkeit und förderte die Entwicklung einer professionellen Justizverwaltung. Diese Reformen waren Teil der Kameralismusbewegung, die eine effizientere, kontrollierte und zentralisierte Verwaltung anstrebte, um persönliche Vorteile von Amtsträgern zu minimieren und die Verwaltung dem Gemeinwohl zu widmen.
Die Rolle Croons war zudem nicht auf das lokale Gut beschränkt. Die Akte aus dem Landeshauptarchiv Magdeburg von 1762 belegt seine Kompetenz in komplexen überregionalen Finanzgeschäften: Als Antragsteller einer Prolongation einer Obligation über 4.000 Reichstaler fungierte er in einem rechtlich anspruchsvollen Verfahren, das die Koordination zwischen verschiedenen Herrschaftsgebieten erforderte. Dies zeigt, dass Croon als Oberamtmann zugleich wirtschaftlicher Manager, Jurist und Diplomat in einem war.
Insgesamt spiegelt Croons Wirken die Entwicklung der Gutsherrschaft im 18. Jahrhundert wider, in der die Position des Oberamtmanns zunehmend professionalisiert und institutionalisiert wurde. Er war eine unverzichtbare Schlüsselperson, deren Erfolg und Kompetenz wesentlich zum Gelingen großer Projekte wie dem Schlossbau und zur Stabilität der Herrschaft beitrugen.
Verbindung von Recht und Wirtschaft
Im frühneuzeitlichen Gutssystem bildeten Rechtsprechung und wirtschaftliche Verwaltung keine getrennten Sphären, sondern waren eng miteinander verflochten und bedingten sich gegenseitig. Diese Verzahnung spiegelt sich exemplarhaft in den Aufgaben und Handlungen des Oberamtmanns Croon am Rittergut Angern wider, dessen Zuständigkeit nicht nur Verwaltung und Wirtschaftssteuerung, sondern auch die Ausübung patrimonialer Gerichtsbarkeit einschloss.
Die patrimonialgerichtliche Gewalt diente vor allem der Sicherung ökonomischer Ressourcen und der Durchsetzung von Herrschaftsansprüchen gegenüber Untertanen, Pächterfamilien und Dörfern. So zeigte sich im Streit um den Stelldamm, dass juristische Auseinandersetzungen unmittelbar mit der Frage nach dem Zugang zu und der Kontrolle über wasserbauliche Infrastruktur, die für die Fischerei- und Landwirtschaft essenziell war, verbunden waren.
Hier manifestiert sich die juristische Befugnis zur Wiederherstellung eines für das Gut existenziellen Bauwerks – zugleich eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Diese Handlung diente nicht nur dem Schutz von Eigentum, sondern auch der Sicherung der produktiven Grundlage des Gutes.
Neben der Sicherung materieller Ressourcen spielte die Gerichtsbarkeit auch eine präventive Rolle: Durch die Kontrolle über Rechtsausübung konnten Konflikte reguliert und unerwünschte Eingriffe in die Wirtschaft des Guts verhindert werden. Croon übernahm auch die Kontrolle über Pachtverträge und die Durchsetzung von Zahlungspflichten. So verpflichtete er sich 1738 gegenüber Christoph Daniel von der Schulenburg, alle Justiz- und Verwaltungsangelegenheiten „kostensparend“ selbst zu übernehmen, was die Bedeutung rechtlicher Steuerung zur Sicherung wirtschaftlicher Interessen verdeutlicht.
Darüber hinaus illustriert der Umgang mit komplexen Finanzierungsinstrumenten, wie der Prolongation einer Obligation über 4.000 Reichstaler im Jahr 1762, dass Recht und Wirtschaft im Gut nicht nur lokal, sondern auch in einem überregionalen finanziellen und juristischen Kontext wirkten. Croon trat als Antragsteller dieser Prolongation auf, was seine Kompetenz in rechtlich anspruchsvollen Finanzgeschäften belegt und seine Rolle als wirtschaftlicher und juristischer Akteur mit weitreichender Verantwortung unterstreicht (Landeshauptarchiv Magdeburg, Signatur 78 VI Magdeburg 106).
Das individuelle Vergütungsmodell Croons, bei dem er auf ein festes Gehalt verzichtete und stattdessen eine jährliche Verzinsung des eingesetzten Kapitals erhielt, kann als Ausdruck einer vertrauensbasierten Patrimonialökonomie verstanden werden, in der wirtschaftlicher Erfolg, Rechtssicherheit und persönliche Loyalität eng miteinander verflochten waren.
Diese enge Verknüpfung von Recht und Wirtschaft war charakteristisch für die frühmoderne Gutsherrschaft und kennzeichnete den Übergang von einer personengebundenen zu einer zunehmend bürokratisch organisierten Verwaltung. Sie bildet den Hintergrund vieler sozialer und rechtlicher Konflikte jener Zeit, in denen die Sicherung ökonomischer Interessen untrennbar mit juristischer Herrschaftsausübung verbunden war.
Zuständigkeiten des Magdeburger Gerichts gegenüber patrimonialen Gerichten wie am Gut Angern
Das Magdeburger Gericht war eine mittelinstanzliche Justizbehörde, die zwischen den lokal patrimonialen Gerichten und dem landesherrlichen Obergericht (z. B. dem Königlichen Hofgericht in Berlin) stand. Es sicherte die Einhaltung des landesherrlichen Rechtsrahmens, regelte die Rechtsaufsicht und diente als Korrektiv gegen Übergriffe oder Fehlurteile der Gutsherrschaft.
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Appellationsinstanz (Berufungsgericht)
Die Magdeburger Regierung fungierte als Berufungsinstanz für Entscheidungen der patrimonialen Niedergerichte. Bürger oder Untertanen konnten gegen Urteile der Gutsherrschaft beim Magdeburger Gericht Beschwerde einlegen (Appellation). So ist etwa dokumentiert, dass Croon „wegen versagter Justiz nachher Hofe appellieren“ musste, weil die mittleren Instanzen Entscheidungen nicht zu seinen Gunsten trafen.
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Rechtsaufsicht und Kontrolle
Das Magdeburger Gericht übte eine Aufsichtsfunktion aus und überprüfte, ob die patrimonialen Gerichte ihre Kompetenzen rechtmäßig wahrnahmen. Bei Fehlverhalten konnten Verfahren annulliert oder neu angesetzt werden. Croon beklagte in den Akten mehrfach Einmischungen und „widerrechtliches“ Vorgehen der Verwaltung, die seine Rechte infrage stellten.
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Konflikte zwischen patrimonialer und staatlicher Gerichtsbarkeit
In Streitfällen, die komplexere rechtliche oder politische Dimensionen hatten, etwa bei Grenzstreitigkeiten, größeren Besitzkonflikten oder Beschwerden von Gemeinden (wie im Stelldamm-Streit mit Wenddorf), griff die Magdeburger Regierung als übergeordnete Instanz ein.
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Verfahren in besonderen Angelegenheiten
Für Fälle, die besondere Rechtsfragen oder höhere Gerichte betrafen, z. B. Fragen des Lehnsrechts, größere strafrechtliche Vergehen oder Fragen des öffentlichen Rechts, war die Magdeburger Justizbehörde zuständig
Herausforderungen und Wandel
Die patrimoniale Gerichtsbarkeit im 18. Jahrhundert stand im Spannungsfeld zwischen bewahrter Gutsherrschaft und der aufstrebenden zentralstaatlichen Justiz. Am Beispiel des Oberamtmanns Croon am Rittergut Angern zeigen sich diese Herausforderungen und die darauf folgenden Anpassungsprozesse besonders deutlich. Die Akten dokumentieren wiederholte Konflikte zwischen Croon und den mittleren Verwaltungsinstanzen. So klagte Croon in einem Schreiben:
„…ja man verfährt so widerrechtlich, daß ich wegen versagter Justiz nachher Hofe appellieren müssen.“ (Rep. H Nr. 336)
Diese Aussage verweist auf die Ambivalenz staatlicher Behörden gegenüber den patrimonialen Gerichtsbarkeiten. Die mittlere Verwaltung, vermutlich das Regierungspräsidium Magdeburg oder landesherrliche Kollegien, unterstützte in einigen Fällen die Interessen der Gemeinden, was die Gutsherrschaft Croons schwächte. Beispielsweise wurde Croon gezwungen, ein Pfand an die Wenddorfer zurückzugeben, obwohl er dessen Rechtmäßigkeit bezweifelte:
„…die Regierung hat […] so sehr in mich gedrungen, daß ich endlich das Pfand habe ihnen zurückzugeben mich gedrungen gesehen.“
Gleichzeitig versuchte Croon, seine Rechte mit Nachdruck durchzusetzen und drohte mit der gewaltsamen Entfernung der Gemeinde aus dem umstrittenen Bereich des Stelldamms. Die Spannungen spiegeln die sich wandelnde Rechts- und Verwaltungslandschaft wider, in der sich persönliche Herrschaftsansprüche und rechtliche Formalisierung gegenüberstanden.
Die zunehmende Juridifizierung und die wachsende Bedeutung der Zentraljustiz führten dazu, dass Patrimonialgerichte in ihrer Macht beschränkt wurden. Dies zeigte sich auch an der vermehrten Inanspruchnahme zentraler Appellationsinstanzen durch Gutsherren, wie Croons Hinweis auf die „Appellation an den Hof“ belegt. Damit vollzog sich ein Wandel von einer personengebundenen Herrschaft hin zu einer stärker institutionalisierten Rechtsordnung.
Vergleichbare Reformprozesse lassen sich in Brandenburg-Preußen im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert beobachten, etwa in den Gerichtsreformen, die mit der Einführung einheitlicher Gerichtsordnungen und der Trennung von Justiz und Verwaltung verbunden waren (vgl. Conrad 2002). Dabei wurden die Patrimonialgerichte nach und nach aufgehoben und die Rechtsprechung in staatliche Hände überführt.
In der Gutsherrschaft selbst reagierte man auf diese Veränderungen durch eine Professionalisierung der Verwaltung. Croons umfassende und weitgehend eigenverantwortliche Tätigkeit in wirtschaftlichen, juristischen und administrativen Belangen – dokumentiert etwa durch seine individuelle Vergütung, den eigenen Hausstand und seine Rolle in überregionalen Finanzangelegenheiten (1762 Obligation) – verdeutlicht diesen Anpassungsprozess. Die Gutsherrschaft setzte zunehmend auf kompetente Verwaltungsbeamte, um ihre Position in einem sich verändernden Rechts- und Herrschaftsumfeld zu behaupten.
Gerichtsbarkeit und soziale Kontrolle
Ein zentrales Feld von Croons Verantwortung betrifft die lokale Gerichtsbarkeit. In der Instruktion von Christoph Daniel an Croon aus dem Jahr 1742 heißt es, er solle in den beiden Gemeinden eine
"Ecacte Justitz observiren, ohne jemandt tort oder zuviel zu thun" (Rep. H Angern Nr. 337).
Diese Formulierung verweist auf ein ausgewogenes und faires Verfahren im patrimonialgerichtlichen Rahmen, wie es für Gutsbesitzer im Alten Reich typisch war. Der Anspruch war dabei doppelt gerichtet: Einerseits sollte durch Gerechtigkeit die soziale Ordnung stabilisiert, andererseits aber auch das eigene Ansehen als gerechter Herr gewahrt werden.
Croon wird angehalten, ein "Ehrbares und Redliches Leben" bei allen Dorfbewohnern durchzusetzen. Vor dem Hintergrund der 1740 von Christoph Daniel erlassenen Angernschen Dorfordnung lässt sich die Instruktion von 1742 als deren konkrete Ausführungsregelung verstehen. Die Dorfordnung legte grundlegende Prinzipien für ein "ehrbares und redliches Leben" der Einwohner sowie für wirtschaftliche Ordnung und Armenpflege fest. Diese Prinzipien greift Schulenburg auf, indem er Croon zur Durchsetzung sittlicher Ordnung und sozialer Verantwortung verpflichtet. Die Verbindung von Rechtspflege und sozialer Kontrolle wird somit im lokalen Kontext systematisch umgesetzt und individualisiert.
Croon wird angehalten, ein "Ehrbares und Redliches Leben" bei allen Dorfbewohnern durchzusetzen. Die Justiz wird damit zur moralischen Instanz: Sie soll nicht nur Straftaten sanktionieren, sondern auch die Tugenden des Untertanenlebens festigen. Besonders heikel erscheint dem Verfasser der Instruktion der Diebstahl, dem "allen möglichen Fleiß" entgegenzusetzen sei. Dabei wird kein Unterschied zwischen verschiedenen Arten des Diebstahls gemacht – alle Formen sind gleichermaßen zu unterbinden: "Sie haben Nahmen wie sie wollen."
Hervorzuheben ist die ausdrückliche Erwähnung der "Adlichen Häuser und Höffe" als besonders schützenswert (ebd.). Die Eigentumsordnung der Gutswirtschaft wird somit nicht nur gegenüber Untertanen, sondern auch innerhalb der herrschaftlichen Hierarchie verteidigt. Eine besondere Gefahrenquelle bilden in Schulenburgs Wahrnehmung offenbar die Hausbewohner des Dienstpersonals – das sogenannte "Raceait". Croon solle darauf "fleißig Achtung geben lassen". Dies zeigt die Sorge vor internen Verlusten und verweist auf die Notwendigkeit disziplinarischer Kontrolle auch innerhalb des Hofapparats.
Die Sanktionierung kleinerer Vergehen ist dabei deutlich pragmatisch geregelt: Wer gegen die Ordnung verstößt, "muß [...] mit so viel Tage oder Stunden Garten-Arbeit oder wo man dieselben sonst gebrauchen möchte belegt oder abgestrafft werden" (ebd.). Diese Form der gemeinnützigen Strafe zeigt, wie eng Justiz und Ökonomie auf einem Gut verzahnt waren: Die Strafarbeit führt dem Gutshof einen direkten Nutzen zu, ohne aufwendige Inhaftierung oder Gerichtskosten. Es handelt sich dabei um ein frühes Beispiel einer Sanktion mit erzieherischem und produktivem Charakter zugleich.
Bemerkenswert ist, dass Croon selbst als Kenner der lokalen sozialen Verhältnisse dargestellt wird: "Mr. Croon weiß, wie es in meiner Abwesenheit zugegangen, und wer am meisten gestohlen." Auf dieser Grundlage solle er seine "Messures desto besser zu nehmen" wissen. Hier wird deutlich, dass Schulenburg seinem Vertrauten nicht nur formale Autorität, sondern auch tiefes Erfahrungswissen zuschreibt. Justiz wird so als personenbezogenes Vertrauensverhältnis organisiert, nicht als strikt institutionalisierter Apparat.
Diese Form der lokalen Patrimonialgerichtsbarkeit ist typisch für die ländlichen Herrschaftsverhältnisse in Brandenburg-Preußen im 18. Jahrhundert: Die Gutsherren agierten zugleich als Richter, Sozialdisziplinierer und Patron ihrer Gemeinden. Die vorliegende Instruktion liefert ein plastisches Bild dieses Systems.
Armenpflege durch Gerichtseinnahmen
Die Verbindung von patrimonialer Justiz und sozialer Verantwortung zeigt sich besonders deutlich in der Armenpflege. Die Zweckbindung der Gerichtsgebühren ("Sporteln") sieht in der Instruktion von Christoph Daniel an Croon im Jahr 1742 vor, dass Croon jährlich 12 Reichstaler zur Unterstützung der ärmsten Einwohner Angerns verwendet:
"um die Ärmsten in Angern, es seyen Alte Witwen oder Waysen, damit zu secouriren" (Rep. H Angern Nr. 337).
Diese Mittel stammen nicht aus einem allgemeinen Etat, sondern direkt aus der Rechtsprechungspraxis des Gutes – ein Ausdruck jener engen Verzahnung von Ordnung und Versorgung, die für vormoderne Herrschaftssysteme typisch ist.
Darüber hinaus verpflichtet sich Croon, für sechs arme Kinder, deren Familien nicht in der Lage sind, das Schulgeld zu entrichten, die Zahlung zu übernehmen. Sollte der Betrag der Sporteln nicht ausreichen, so heißt es, "nimmt er so viel dazu noch von dem Meinen" – also aus Schulenburgs Privatmitteln. Diese Praxis ist Ausdruck eines spezifischen Modells von Patronage, das auf direkter Verantwortung des Gutsherrn für das Wohlergehen seiner abhängigen Bevölkerung beruht. Die Armenpflege ist hier also weder anonymisiert noch systematisch institutionalisiert, sondern personenbezogen, zweckgebunden und lokal kontrolliert. Im Sinne der Angern'schen Dorfordnung von 1740, die ebenfalls die Unterstützung bedürftiger Gemeindeglieder forderte, wird in der Instruktion ein praktisches Umsetzungsmodell entworfen. Armenfürsorge ist kein Akt karitativer Willkür, sondern Teil der legitimen Ausübung von Herrschaft: Wer Gerichtsbarkeit ausübt und Ordnung sichert, hat auch für das Minimum an sozialer Sicherung zu sorgen.
Diese Vorstellung steht im Kontrast zu einem modernen Sozialstaat, ist aber funktional vergleichbar mit frühneuzeitlichen Formen der dorfgebundenen Subsistenzsicherung. Die Armenkasse wird zum sichtbaren Ausdruck einer hierarchisch eingebetteten Verantwortungsgemeinschaft. Damit dokumentiert die Instruktion eine Form des obrigkeitlichen "Sozialvertrags", wie er im preußischen Gutswesen des 18. Jahrhunderts typisch war.
Prozessorganisation und Archivpflege
Ein weniger spektakulärer, aber administrativ hochbedeutsamer Teil der Instruktion Rep. H Angern Nr. 337 aus dem Jahr 1740 betrifft die Organisation gerichtlicher Vorgänge und die Archivpflege. Das Archiv dient der Festschreibung von Besitzansprüchen – Schriftlichkeit ersetzt physische Präsenz. Schulenburg verzichtet darauf, Croon inhaltlich in laufende oder künftige Prozesse einzuweisen. Stattdessen genießt dieser volle Autonomie:
"In denen Processen wies ich Mr. Croon nichts vorzuschreiben, sondern wird Er solche auf das Beste, und fleißigste als es möglich besorgen" (Rep. H Angern Nr. 337).
Das Vertrauen basiert offenbar auf langjähriger Zusammenarbeit und ist Teil eines delegierten Verantwortungssystems innerhalb der Gutsverwaltung. Dennoch ist diese Autonomie nicht schrankenlos: Croon soll sich aktiv in alle relevanten Besitzverhältnisse und territorialen Streitigkeiten einarbeiten. Ziel ist eine "völlige connoissance" – also ein tiefgehendes, praktisches Wissen um alle Felder, Marken, Zugehörigkeiten und Ansprüche des Gutes Angern. Daraus ergibt sich die Aufgabe, alle Prozessakten und Argumentationsgrundlagen so zu strukturieren, "daß man den Process darüber, wann man wolle, anfangen könne" (ebd.).
Diese Anweisung zeigt, dass Prozessfähigkeit nicht nur von juristischen Kenntnissen, sondern ganz wesentlich von Aktenklarheit, territorialer Kenntnis und strategischer Vorbereitung abhing. Die gerichtliche Auseinandersetzung wurde also als verlängerter Arm der Gutsinteressen begriffen – ein Instrument, das nur dann wirksam werden konnte, wenn alle Informationen geordnet, dokumentiert und jederzeit verfügbar waren. Dementsprechend wird Croon beauftragt, das Archivwesen in Ordnung zu bringen:
"Das Archiv nebst die Documente wird Mr. Croon in völlige gute Einrichtung bringen, in das nun gemachte Archiv [...] trocken etabliren und in guten Stand unterhalten" (ebd.).
Diese Passage ist von besonderem Interesse, da sie auf die Neuschaffung oder Reorganisation eines Archivs verweist – vermutlich als Reaktion auf vorherige Vernachlässigung oder als Teil des umfassenden Ordnungswillens Schulenburgs. Die Forderung nach einem "trockenen" Standort deutet auf klimatische Schutzvorkehrungen hin und zeigt ein frühes Bewusstsein für dokumentarische Erhaltung. Ziel ist ein funktionsfähiges Schriftgutmanagement, das nicht nur der juristischen Absicherung dient, sondern auch der Herrschaftssicherung durch Informationskontrolle. Das Archiv wird damit zum infrastrukturellen Zentrum der Gutsherrschaft. Auch hier zeigt sich der pragmatisch-bürokratische Stil Schulenburgs, der das Gutswesen nicht nur als patrimoniales Besitzverhältnis, sondern als rational strukturiertes Verwaltungsobjekt auffasst.
Fazit
Die Patrimonialgerichtsbarkeit stellt ein komplexes Herrschaftsinstrument des frühneuzeitlichen Adels dar, das normative Ordnung, wirtschaftliche Kontrolle und soziale Disziplinierung in sich vereinte. Am Beispiel von Angern und den Ordnungen unter Christoph Daniel von der Schulenburg zeigt sich die Dichte, mit der adlige Grundherren ihre Macht nicht nur als Militärs oder Grundbesitzer, sondern auch als Richter, Gesetzgeber und Archivare ausgeübt haben. Die archivalische Überlieferung im Bestand H 13 erlaubt es, diese Praxis nicht nur in ihrer Funktion, sondern auch in ihrer symbolischen und materiellen Dimension greifbar zu machen.
Die patrimoniale Gerichtsbarkeit im Gutsbezirk Angern erscheint im Lichte der archivischen Überlieferung nicht als starre Herrschaftsinstitution, sondern als dynamisches Gefüge sozialer Kontrolle, Kommunikation und Verwaltung. Ihre Stärke lag in der Verbindung von Schriftkultur, sozialen Netzwerken und ritueller Legitimation. In einer Übergangszeit zwischen barocker Obrigkeitsgewalt und frühaufklärerischer Reformpraxis bildete sie ein funktionales Modell lokaler Rechtsausübung – disziplinierend, verwaltend und legitimatorisch zugleich.
Dabei verschränkten sich Herrschaftsausübung und Alltagsorganisation in vielfacher Hinsicht: Die Regelung von Armenpflege, Bauwesen, Wildhege und Archivstruktur folgte keiner abstrakten Gesetzeslogik, sondern einer konkreten, ortsgebundenen Ordnungspraxis. Schulenburgs Instruktion für Croon zeigt, wie Gerechtigkeit, Verwaltung und symbolische Repräsentation aus einem einzigen Ordnungszentrum heraus gesteuert wurden. In ihrer Schriftform erweist sich die Instruktion nicht nur als Verwaltungsanweisung, sondern als Ausdruck einer Herrschaftsform, die Kontrolle durch permanente Aufmerksamkeit, Durchdringung und Delegation realisierte.
Das Beispiel Angern belegt somit exemplarisch, wie der adelige Gutsherr im 18. Jahrhundert als Ökonom, Richter, Sozialpolitiker und Kulturverwalter in einer Person agierte. Die Ordnung der Dinge, Menschen und Tiere auf dem Gut war nicht nur funktionale Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg, sondern auch Ausdruck eines spezifisch vormodernen Herrschafts- und Weltverständnisses.
Quellen
Dieses Dokument basiert auf deiner Transkripition der Dorfchronistin Brigitte Kofahl
- Behrend, Heiner (2006): Das Patrimonialgericht in Brandenburg-Preußen. Berlin.
- Conrad, Dieter (2002): „Justiz und Verwaltung im brandenburg-preußischen Staat des 18. Jahrhunderts“, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte (GER) 119, S. 131–163.
- Schindling, Anton (1987): „Adel und Gerichtsbarkeit in Schwaben“, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 50, S. 93–120.
- Winkler, Wilhelm (1994): Gerichtsbarkeit im Erzgebirge, Leipzig.
- Stolleis, Michael: Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II: Staatsrecht und Verwaltungsrecht (1600–1800), München 2002.
- Conrad, Sebastian: Rechtsräume im Übergang: Gerichtsbarkeit und soziale Ordnung im Preußen des 18. Jahrhunderts, Göttingen 2007.
- Groß, Reiner: Die Justiz in Sachsen. Eine historische Einführung, Dresden 2011.
- Gutsarchiv Angern, Rep H 13, v.a. Nr. 10, 76, 122–138, 139, 140–158 sowie Rep. H 337.
- Magdeburgische Polizeiordnung, P. III. N. 150, hrsg. im landesherrlichen Auftrag des Kurfürsten Friedrich Wilhelm, Magdeburg 1683.
- Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten, 1820, Nr. 33: „Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Patrimonialgerichtsbarkeit“ vom 17. Juli 1820.