Schulenburg Familie in Angern
Das Geschlecht von der Schulenburg zählt zu den älteren Adelsfamilien Norddeutschlands und ist seit dem 13. Jahrhundert urkundlich belegt

Die Frau im adligen Lebensvollzug. Weiblichkeit ohne Stimme? Die Tagebücher Helene von der Schulenburgs lassen sich auf den ersten Blick als stille Chroniken lesen – ohne programmatische Aussagen, ohne offene Reflexionen über Geschlechterrollen, ohne demonstrative Ich-Position. Doch gerade diese Zurückhaltung ist Ausdruck einer spezifischen adligen Weiblichkeit des 19. Jahrhunderts: repräsentativ, aber nicht sichtbar; zentral für das soziale Gefüge, aber nicht öffentlich artikuliert; wirksam, aber nicht laut.

Helene schreibt als Frau aus einem Stand, dessen Einfluss sich nicht über Ämter oder öffentliche Stellung definiert, sondern über Ordnung, Pflicht, Präsenz – und über das Gedächtnis. Ihre Rolle als Ehefrau, Mutter, Gastgeberin und Chronistin ist durchdrungen von Formen der Repräsentation, die nicht ins Auge fallen, aber das soziale Leben strukturieren. Ihre Texte erlauben daher einen seltenen Einblick in die Binnenlogik adliger Geschlechterverhältnisse in einer Phase tiefgreifender gesellschaftlicher Wandlungen.

Ehe und Pflichterfüllung

Die Ehe mit Edo von der Schulenburg erscheint im Tagebuch nicht als emotionales Thema, sondern als sachlich geführte, lebenslange Verbindung. Helene erwähnt ihren Mann häufig – in Kontexten wie Reisen, Besuchen, Festen oder Gottesdiensten –, aber ohne narrative Ausschmückung oder persönlichere Reflexion. Sie schreibt etwa:

„Mit Edo nach Potsdam. Besuch bei Tante Anna. Danach in die Kirche.“ (Kontext: Frühjahr 1869)

Solche Einträge zeigen: Die Ehe ist bei Helene keine Bühne innerer Bewegung, sondern eine gelebte Einheit in Handlung und Pflicht. Nähe wird nicht ausgesprochen, sondern vorausgesetzt. Die Tagebucheinträge selbst sind zurückhaltend, doch der überlieferte umfangreiche Briefwechsel zwischen Helene und Edo von der Schulenburg dokumentiert eine tiefe persönliche Bindung. Damit lässt sich Helenes Ehe nicht nur als funktionale Lebensgemeinschaft, sondern auch als emotional geprägte Beziehung fassen – diskret im Tagebuch, aber eindrücklich in der Korrespondenz. Ihre Form von Weiblichkeit schließt Zuwendung ein, artikuliert sich jedoch nicht offen emotional. Sie folgt dem Ideal des 19. Jahrhunderts: Treue, Diskretion, Zuverlässigkeit – nicht als Zwang, sondern als verinnerlichtes Selbstverständnis.

Mutterschaft und Sorge

Kinder erscheinen im Tagebuch regelmäßig: mit Geburtsdaten, Konfirmationen, Krankheiten, Todesfällen. Auch hier bleibt Helene nüchtern, genau, konzentriert auf das Wesentliche. Ein typischer Eintrag lautet:

„15. März. Paul kränklich. Wir hoffen, dass er bald wieder auf dem Hof ist. Am Nachmittag Andacht mit den Kindern.“ (aus einem Frühlingsmonat, 1872)

Das Verhältnis zu den Kindern ist geprägt von Fürsorge, Ordnung, religiöser Anleitung – nicht von Gefühlsausbrüchen. Helene erzieht durch Präsenz, nicht durch Argumentation. In der wiederkehrenden Struktur – Krankheit, Sorge, Gebet, Linderung – zeigt sich, wie stark das weibliche Handeln in der Konstanz des Alltags verankert ist. Der Tod eines Kindes wird in ähnlicher Weise eingebunden in liturgische Praxis und familiäre Ordnung:

„27. Juli. Heut vor sechs Jahren starb unser lieber Ernst. Wir hielten Abendandacht und legten weiße Blumen auf sein Grab.“ (aus einem Sommermonat der 1870er)

Hier wird Mutterschaft nicht heroisiert, sondern getragen – durch Ritual, Gedächtnis und Pflicht. Die emotionale Tiefe der Einträge zeigt sich nicht in Worten, sondern in der Unerschütterlichkeit ihrer Struktur.

Gesellschaftliche Rolle: Gastgeberin und Organisatorin

Helene tritt in vielen Passagen als Gastgeberin auf – sei es bei Festen, Taufen, Soupées oder familiären Aufenthalten. Auch diese Aufgaben erscheinen nicht als Last, sondern als selbstverständlich erfüllte Pflicht. Ein beispielhafter Eintrag:

„6. Januar. Gäste aus Burgstall und Neuhaldensleben. Edo sprach den Tischsegen. Danach Lieder mit Frl. R.“ (aus dem Winter 1871)

Die adlige Frau ist hier Mitte des Hauses, nicht durch Befehl, sondern durch Haltung. Helene organisiert, empfängt, führt – aber immer diskret. In dieser Weise ist sie Symbolträgerin ihrer Familie, aber ohne Repräsentationsgestus. Ihre Rolle ist tief in Ritualen und Codes eingebettet, nicht in der Selbstentfaltung des Individuums.

Schreiben als weibliche Form der Gedächtnisführung

Das Tagebuch selbst ist ein Ausdruck weiblicher Erinnerungskultur. Helene schreibt nicht für ein Publikum, nicht zur Selbstvergewisserung, sondern zur Bewahrung von Ordnung. Ihre Einträge sind Handlungen – nicht Mitteilungen. Das Tagebuch ist keine Bühne, sondern eine Schale: Es bewahrt, was Bestand haben soll.

Dass sie als Frau schreibt, hat dabei eine doppelte Bedeutung: Sie ist nicht öffentlich, aber sie ist wirksam. Ihre Worte sind nicht laut, aber dauerhaft. In der Form des Kalenders, in der Wiederholung der Todestage, im Vers aus dem Psalter zeigt sich eine andere Form von Autorität: nicht machtförmig, sondern beständig.

Zwischen gesellschaftlichem Rückzug und innerer Stärke

Helene äußert sich nie zu politischen Entwicklungen, zu Frauenfragen, zu gesellschaftlichen Debatten. Und doch ist sie nicht stumm. Ihre Stärke liegt in der Unverrückbarkeit ihres Handelns. Sie erfüllt ihre Rolle – nicht unter Zwang, sondern mit stiller Konsequenz. Ihre Weiblichkeit ist nicht submissiv, sondern funktional – getragen von Verantwortung, Sittlichkeit und Erinnerung.

In einer Gesellschaft, die Frauen weder Stimme noch Amt einräumte, war das Tagebuch ein Ort innerer Gestaltung. Helene hat diesen Ort nicht dazu genutzt, um zu klagen oder zu rebellieren – sondern um zu bewahren. Das ist keine Ohnmacht, sondern eine formbewusste Selbstverankerung.

Schlussbetrachtung

Helene von der Schulenburg lebte nicht jenseits gesellschaftlicher Normen, sondern in deren Mitte. Ihre Weiblichkeit war nicht Ausdruck individueller Suche, sondern gelebte Form. In ihrer Rolle als Ehefrau, Mutter, Gastgeberin und Gedächtnisträgerin zeigt sich ein Typus von Weiblichkeit, der im 19. Jahrhundert prägend war – zurückhaltend, aber bestimmend; verborgen, aber wirksam.

Ihr Tagebuch ist kein Schrei nach Freiheit, sondern ein stilles Bekenntnis zur Ordnung – getragen von Erinnerung, Religion, Pflicht und Form. In dieser Haltung liegt eine historische Wahrheit über die adlige Frau des 19. Jahrhunderts, wie sie in der Geschichtsschreibung oft übersehen wurde – aber in Helenes Aufzeichnungen eindrucksvoll bezeugt ist.

Fritz I. von der Schulenburg (1350–1415) war der gemeinsame Stammvater aller drei Hauptlinien des sogenannten weißen Stamms des Hauses von der Schulenburg. Seine Lebenszeit fällt in eine Epoche tiefgreifender politischer und gesellschaftlicher Umbrüche im deutsch-römischen Reich.
Kaufmann, Lehnsträger und Burgherr in Angern. Werner V. von der Schulenburg gehört zu den frühesten namentlich bekannten Mitgliedern der Familie, die sich dauerhaft auf dem Gut Angern niederließen. Seine Bedeutung liegt nicht allein in seiner Funktion als Mitbelehnter mit der dortigen Burg, sondern vor allem in seiner Rolle als Vertreter eines Adels, der im Übergang vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit zunehmend auch städtisch-wirtschaftliche Handlungsspielräume wahrnahm.
Hans XII. von der Schulenburg († 1625), Sohn des Busso VI. , gehört zu jenen Gliedern des Adelsgeschlechts von der Schulenburg , deren Leben exemplarisch für die Krisen und Konsolidierungsversuche niederadliger Gutsherrschaft im frühneuzeitlichen Brandenburg steht. Seine Biografie markiert eine Übergangsphase zwischen militärischer Karriere und ökonomischer Bedrängnis, zwischen adliger Repräsentation und realer finanzieller Überforderung.
Bernhard von der Schulenburg (1427–1469) wurde im Jahre 1448 mit seinen Brüdern Busso und Matthias durch Lehnbrief Erzbischofs Friedrich von Magdeburg zu rechten männlichen Lehen belehnt.
Ritter, kurbrandenburgischer Rat, Stiftshauptmann des Erzstifts Magdeburg, Begründer des älteren Angerner Zweigs. Busso I. entstammte der weißen Linie der Familie von der Schulenburg und war der älteste Sohn des Ritters Fritz I von der Schulenburg (* um 1350, † 1415). Er wurde am 12. April 1414 noch als unmündig erwähnt, galt aber bereits am 15. April 1415 als mündig und war ab 6. August 1424 urkundlich als Ritter belegt. Sein Geburtsjahr lässt sich daher mit einiger Sicherheit auf um 1396 datieren.
Begründer der jüngeren Linie des weißen Stammes – Landeshauptmann der Altmark. Matthias I von der Schulenburg (geb. spätestens 1405 – † zwischen Februar und November 1477) war der jüngste Sohn des Ritters Fritz I von der Schulenburg (Nr. 56).
Bernhard XI. von der Schulenburg (*1475, † vor dem 15. Mai 1502) war ein altmärkischer Adliger des ausgehenden 15. Jahrhunderts und der bedeutendste Vertreter der jüngeren Linie des sogenannten weißen Stammes der Familie von der Schulenburg. Er war der älteste überlebende Sohn des Landeshauptmanns Matthias I. († um 1477) und der Anna von Alvensleben . Er war Herr auf Altenhausen , Angern und Beetzendorf .
Erbe des Ritterguts Angern, kaiserlicher Offizier und Begründer der Angerner Stammlinie. Alexander Friedrich Christoph von der Schulenburg (*5.8.1720, †1801) war der vierte Sohn Heinrich Hartwig I. Er trat das erstmals unter seinem Onkel Christoph Daniel auf die jüngeren Linie vereinigte Rittergut als Majorat an, das durch das Fideikommiss von 1762 gesichert worden war.
Ein früher Reformator, streitbarer Landadliger und Kriegsteilnehmer im Zeitalter der Konfessionalisierung. Als Sohn von Bernhard XI. von der Schulenburg und Enkel von Matthias I , des langjährigen Landeshauptmanns der Altmark, war er ein direkter Erbe der um 1485 befestigten Stellung in Altenhausen , Angern und Beetzendorf und setzte die jüngere Linie des weißen Stamms fort.
Jakob II. von der Schulenburg (*25.03.1515 in Beetzendorf, †1576 in Magdeburg). Leben, Kriegslaufbahn und Besitzpolitik eines altmärkischen Söldnerführers. Jakob II. zählt zu den herausragenden Persönlichkeiten des altmärkischen Adels im 16. Jahrhundert.
Daniel I. Reichsfreiherr von der Schulenburg (* 3. Juni 1538 in Altenhausen ; † 6. November 1594 in Angern ) (Nr. 312 in der Stammtafel) lebte in einer Zeit bedeutender politischer und wirtschaftlicher Umbrüche in der Altmark und im Erzstift Magdeburg . Am 29.09.1577 heiratete Daniel I. Ehrengard von Alten aus dem Hause Wilkenburg (* um 1556, † nach 1611). Aus dieser Verbindung gingen fünf Kinder hervor.
Henning III. von der Schulenburg (*1587, †01.09.1637) war der jüngste Sohn des Daniel I. von der Schulenburg und übernahm nach seinem Tod den Burghof in Angern. Er steht exemplarisch für die komplexe Rolle des niederen Adels im frühneuzeitlichen Brandenburg – zwischen dynastischer Kontinuität, territorialer Zersplitterung und finanzieller Prekarität.
Henning Christoph von der Schulenburg (* 1648 oder 1649 auf Angern , † 27.12.1683 in Staßfurt ) war ein kurbrandenburgischer Hauptmann. Als der älteste Sohn von Heinrich XI. von der Schulenburg (geb. 1621, gest. 1691) und Ilse Floria von der Knesebeck (geb. 1629, gest. 1712) erbte er nach dessen Tod die Güter Angern und Falkenberg .
Heinrich XI von der Schulenburg (* 06.09.1621 auf Angern , + 19.05.1691 in Kehnert ) war Sohn von Henning III. von der Schulenburg und übernahm nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618–1648) ein schwer verwüstetes und verschuldetes Erbe auf den Gütern Angern, Kehnert und Schricke. Die Verwüstungen dieses langen Konflikts hatten nicht nur das Land, sondern auch die wirtschaftliche und soziale Struktur Brandenburg‑Preußens nachhaltig erschüttert. In den Jahren nach 1648 begann ein langwieriger Wiederaufbauprozess, der von der Notwendigkeit geprägt war, feudale Strukturen aufzubrechen und zentralisierte, absolutistisch geprägte Verwaltungsinstitutionen zu etablieren – Entwicklungen, die auch den Grundstein für den späteren Aufstieg des preußischen Staates legten.
Christoph Daniel von der Schulenburg (*1679 in Angern, †1763 ebenda) wurde geboren inmitten einer Epoche dynastischer Spannungen im Heiligen Römischen Reich. Er zählt zu den herausragenden Persönlichkeiten des brandenburgisch-preußischen Adels im 18. Jahrhundert. Sein Lebensweg vereint in exemplarischer Weise militärische Laufbahn , diplomatische Missionen und kulturelles Mäzenatentum .
Der letzte Erbe der alten Linie Angern. Heinrich Hartwig I. von der Schulenburg, Sohn von Henning Christoph , war der letzte bedeutende Vertreter der älteren Linie auf dem Rittergut Angern, ehe dieses durch seinen Bruder Christoph Daniel vollständig in der jüngeren Linie des weißen Stammes zusammengeführt wurde. Nach dem frühen Tod seines Vaters trat Heinrich Hartwig als Erbe des Burghofs hervor und bemühte sich in schwieriger Zeit um die wirtschaftliche Konsolidierung des Besitzes. Seine Rolle als Gutsherr, seine Teilnahme am savoyischen Militärdienst sowie seine familiären Verbindungen dokumentieren exemplarisch die Lebensrealität eines altmärkischen Adligen im Übergang vom Dreißigjährigen Krieg zur barocken Neuordnung der Gutswirtschaft.
Friedrich Christoph Daniel Graf von der Schulenburg (* 10. Februar 1769 auf Angern; † 16. Mai 1821 in Magdeburg) ist Sohn des Alexander Friedrich Christoph Graf von der Schulenburg .
Edo Friedrich Christoph Daniel , geb. 27.04.1816 in Angern, gest. 06.08.1904 in Angern, wurde 1821 dritter Fideikommissherr auf Angern. Edo war einziger Sohn des Magdeburger Regierungspräsidenten Friedrich Graf v.d. Schulenburg aus dessen zweiter Ehe mit der Tochter des Braunschweigischen Landdrosten, Auguste Luise Adolphine von Cramm. Bei seiner Taufe übernahm König Friedrich Wilhelm III . eine Patenstelle.
Friedrich Wilhelm Christoph Daniel Graf von der Schulenburg (* 1843 in Angern; † 1921) war Sohn des Edo Friedrich Christoph Daniel (1816-1904) und der Helene, geb. v. Schöning. Bei seiner Taufe übernahm König Friedrich Wilhelm IV. die Patenstelle.
Sigurd Wilhelm Graf von der Schulenburg (* 1882; † 1956), Sohn des Friedrich Wilhelm Christoph Daniel (1843-1921) war der fünfte und letzte Fideikommissherr auf Angern. Bei seiner Taufe am 5. November 1882 übernahm Kaiser Wilhelm I. eine Patenstelle , wie auch bei seinem Vater, Großvater und Urgroßvater die damals regierenden preußischen Könige Taufpaten gewesen waren.
Kuno Wilhelm Christoph Daniel Graf von der Schulenburg (* 1923 in Magdeburg, † 1987 in Frankfurt am Main) war ein deutscher Jurist und Mitglied der XXI. Generation der Familie von der Schulenburg. Kuno Wilhelm wurde als einziger Sohn von Sigurd-Wilhelm Graf von der Schulenburg geboren.
Angern

Angern, Sachsen-Anhalt, Landkreis Börde. Heft 20, Berlin 2023 (ISBN: 978-3-910447-06-6).
Alexander Graf von der Schulenburg, Klaus-Henning von Krosigk, Sibylle Badstübner-Gröger.
Herausgeber: Deutsche Gesellschaft e.V.
Umfang: 36 Seiten, 59 Abbildungen.